In den rund 20 Jahren seiner Unabhängigkeit hatte Armenien keine sauberen Wahlen geschafft. Die Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag könnten das Ende dieser politischen Pleitestrecke sein. Der Wahlkampf der Parteien war lebendiger und von der Staatsmacht weit weniger behindert als in der Vergangenheit. Meldungen über Manipulationsversuche und tätliche Angriffe gab es, doch wiederum weniger als in früheren Jahren. Im Südkaukasus, am Rand Europas, sind Autoritarismus und Staatsversagen nicht festgeschrieben.

Armenien demokratisiert sich - weit langsamer und weniger geräuschvoll, als es das Nachbarland Georgien tat, und ganz im Gegensatz zu Aserbaidschan, dem dritten Staat im Südkaukasus. Armenien geht nach vorn, Aserbaidschan zurück. Der Mangel an Öl und Gas kann auch ein Segen sein.

Wie sich Armenien unter Führung seines Staatschefs Sersch Sarkissjan entwickelt, ist für Europa nicht unwichtig. Einmal schon hat die EU durch Zögern und Desinteresse in den vergangenen Jahren einen Krieg im Südkaukasus möglich gemacht. Die Krise um die georgischen Separatistenprovinzen hat sich so lange zugespitzt, bis Russland einen Vorwand hatte, die demokratisch gewählte Führung in Tiflis anzugreifen. Die nächste Station kann Berg-Karabach sein, der 20 Jahre alte Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan.

Halbwegs akzeptable Wahlen sind nur ein Teil der Gleichung, um die Lage zwischen verfeindeten Nachbarn im Südkaukasus zu entschärfen. Ein politisch stabiles Armenien mit einer vom Staat akzeptierten Zivilgesellschaft wäre in der Lage, Konzessionen bei einer Friedensregelung für Karabach zu machen. Ist Armenien dazu bereit, lässt sich wohl auch Aserbaidschan bewegen. Eine Lösung im Karabach-Konflikt würde viele Türen in der Region öffnen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 7.5.2012)