In Österreich ist ein Spitzenpolitiker mit einem Dienstwagen und Chauffeur für viele offenbar eine Provokation. Anders ist der Posting-shit-storm auf die Meldung vom Unfall der SP-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas nicht zu deuten.

Die zivilisierteren Poster fragten an, warum Rudas (und Politiker generell) nicht mit der Bahn fahren können. Weil es in der Mehrzahl der Fälle unpraktisch ist: Wäre Frau Rudas zu einer Abendveranstaltung nach Wolfern bei Steyr mit Öffentlichen gefahren, hätte sie entweder zwei- oder dreimal umsteigen müssen - IC, bzw. Railjet, REX, Bus. Rede und Diskussion dauern mindestens 1,5 Stunden. Dann noch bürgernahe Kontakte ("Mein Nachbar lässt seine Büsche über meinen Zaun wachsen..."), informelles Zusammensein mit den Funktionären - und schon ist es 23 Uhr. Unmöglich, noch in derselben Nacht mit den Öffentlichen nach Wien zu kommen.

Ein Dienstwagen mit Chauffeur ist ein erweitertes Büro. Man telefoniert, mailt, surft im Internet, liest Unterlagen. In den ÖBB kann man nur lesen, weil alle paar Kilometer die Funkverbindung abreißt. Erst Ende 2012 werden alle Railjets W-Lan haben. Dieselben Leute, die sich heute über Dienstautos aufregen, fanden den Jörg, der mit von Industriellen gesponserten Hubschraubern übers Land flog, "volksnah" und "ehrlich". Und hätte Haider seinen Chauffeur nicht heimgeschickt, würde er heute noch leben.

Warum diese Ausführlichkeit? Weil die Erregung typisch ist für ein falsches Politiker- und Politikbild sehr vieler Bürger. Sie regen sich über die falschen Dinge auf, basierend auf einem falschen Bild vom täglichen Leben unserer Politiker. Ein Regierungsmitglied (auch in Landesregierungen) ist von früh bis spät "in Betrieb", auch am Wochenende. Mit Glück sind die Sonntagnachmittage frei. Da sind viele unnötige Termine dabei - aber wenn der Herr Minister einmal nicht zum Feuerwehrfest nach St. Eichkatz am Walde kommt, gilt er gleich als abgehoben. Mit dem EU-Beitritt z. B. kamen noch ständige Kurztrips nach Brüssel dazu. Bei alledem muss man noch freundlich sein, wenn man deppert angeredet wird, und zittern, dass die Krawallzeitungen nicht irgendeine Bagatelle aufblasen oder komplett verdrehen.

Die Entschädigung - bei den nicht-korrupten - ist ein anständiges (aber im Vergleich zu Managern bescheidenes) Gehalt - sowie ein gewisses Machtgefühl, das man nicht überschätzen sollte. Was ein österreichischer Bundeskanzler zwischen den Vorgaben der EU-Politik, den "Märkten" und seinen Landesfürsten, Gewerkschaftskaisern etc. autonom entscheiden und gestalten kann, ist sehr bescheiden.

Politik heute würde mehr Nachdenken, mehr Gespräche mit Experten, mehr konzeptuelle Tätigkeit verlangen; auch mehr Aussteigemöglichkeit aus dem Hamsterrad. Dann käme allerdings der Vorwurf der Volksferne. Aber wenn eine überzeugende, vernünftige Politik gemacht wird, kann auch "das Volk" auf populistische Schulterklopferei auf den Straßen und Märkten, in der Disco und im Bierzelt verzichten. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 5./6.5.2012)