Nur ein Beispiel für Gewalt und ihre Opfer.

Foto: Poool

Wien - Schaulustige stehen auf einer Straße, knapp hinter einer Polizeiabsperrung - darunter auch Kinder. Innerhalb der Absperrung liegt, wie weggeworfen, ein Toter auf dem Boden. Einer sagt: "Bringen Sie Ihre Kinder weg, gute Frau." Die Angesprochenen gehen ein Stück, aber für sie und für alle anderen scheint dieses Szenario zugleich auch erschreckend alltäglich zu sein.

Evolution der Gewalt hat der österreichische Kameramann und Regisseur Fritz Ofner seinen ersten, in Guatemala entstandenen Langfilm genannt. Bei dem ambitionierten Projekt geht es darum, die Entwicklungsgeschichte der gegenwärtigen Gewalt in dem zentralamerikanischen Staat nachzuvollziehen: 36 Jahre Bürgerkrieg - von 1960 bis 1996 - hätten eine Kultur des Todes hervorgebracht, heißt es einmal, und die Idee, Gewalt sei legitim, tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert.

Der Film sucht unterschiedliche Schauplätze auf, an denen man die Auswirkungen dieser Kultur be- und verarbeitet: Er begleitet Reporter. Er führt zu einer NGO, die weibliche Gewaltopfer unterstützt. In ein Dorf, dessen indigene Bewohner traumatisiert sind von den vor Jahrzehnten erlebten Übergriffen. Aber auch zu einem Ex-Soldaten, der die Erinnerung an seine Gräueltaten irgendwie in ein normales Familienleben integrieren muss.

Eine weitere Ebene von Evolution der Gewalt besteht aus Archivmaterial, welches von jenen Interessen handelt, die die USA und der US-Lebensmittelkonzern United Fruit Company an der Region - und dem dortigen Bananenanbau - haben. Wirtschaftliche Ausbeutung und politische Kontrolle der "Bananenrepublik" seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich ebenfalls in die Gewaltspirale eingeschrieben.

Das ist spannender Diskussionsstoff, allerdings verliert man immer wieder auch den Überblick. Einmal ist der Filmemacher als Reporter hinter der Kamera direkt ins Geschehen involviert, dann wieder nimmt er analytische Distanz dazu ein. Diese buchstäblich wechselnden Standpunkte und die Informationsdichte sprengen schnell einmal den Rahmen eines 77-Minüters.

Die hohe Informiertheit und Involviertheit Ofners, dessen erste Reise nach Guatemala bereits kurz nach Kriegsende 1997 stattfand, wenden sich dann ein Stück weit gegen seine aufklärerische Intention. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 5./6.5.2012)