Politische Kommunikation kann so einfach sein: Man nimmt ein Argument des Gegners, lässt alle differenzierten Details weg, übersteigert den Rest ins Absolute und drischt ihn dafür. Das i-Tüpfelchen ist die persönliche Abwertung durch eine "witzige" Beleidigung auf Bierzeltniveau.

Ein einfaches Beispiel, das wir alle bis zum Erbrechen kennen: Das linksalternativgrüne Spektrum setzt sich für menschliche Migrationspolitik ein - und die Strache-Rabauken machen daraus: Ihr wollt ALLE ostanatolischen Schafhirten reinholen, die heimische Bevölkerung austauschen, Deutsch zur Fremdsprache machen und letztlich die Scharia installieren. Das ist natürlich strohdumm, aber es wirkt, wie man sieht.

Turrini mit dem freiheitlichen Schmäh

Und wer wüsste besser, wie Sprache wirkt, als Peter Turrini? Er geht in einem Interview mit dem STANDARD (2.5.2012) mit Straches Holzhammer-Technik bravourös um - natürlich nicht gegen AusländerInnen, sondern gegen "bepickelte Mittelschichtspiraten". Das sind Turrinis ostanatolische Schafhirten.

Menschen, die eine differenzierte Diskussion darüber führen wollen, wie das Urheberrecht zeitgemäß angepasst werden kann, werden also zuerst abgewertet, und dann übersteigert Turrini ihre Argumente ins Absolute und haut sie dafür: "Man nimmt von den anderen, was man will, man saugt aus dem Internet, was einem beliebt, zerschnetzelt und vermischt es so lange, bis es der eigenen geistigen Augenhöhe entspricht und fühlt sich kreativ. Aber es ist die Freiheit des Diebstahls." Und: "Das ist eine feige Bande." Wirkungsvolle Technik, Herr Turrini, aber mieser Stil. Sehr mieser Stil.

Die Urheberrechtsdebatte

Klar, wenn man ein wenig googelt, findet man schon ein paar Blogs, in denen die völlige Abschaffung jeglichen Urheberrechts gefordert wird. Maßgeblich sind diese Stimmen in der Debatte aber nicht. Im Gegenteil, die Diskussion wird sehr nachdenklich geführt, übrigens auch beim Patentrecht.

Es gibt in der Debatte eine breite Übereinstimmung bei zwei Zielen: Maximaler kreativer Output und maximale Verbreitung von Kultur und Wissen. Leider widersprechen einander diese beiden Ziele in einer Welt, in der die Kreativen auch Geld verdienen müssen.

Jeder Vorteil zieht einen Nachteil mit sich, es gibt keine perfekte Lösung, daher muss man jedes Argument abwägen und das macht die Diskussion so schwierig, wenn man sie ernst meint. Und es gibt bedeutende Nebenwirkungen: Digitale Kontrollmechanismen eignen sich hervorragend zur Überwachung auch in anderen Bereichen. Da geht es plötzlich nicht „nur" um Kultur und Wissen, sondern auch um demokratische Grundrechte.
Das ist keine Diskussion für die Holzhammer-Methode, außer man steht selbst an einem Ende des Spektrums. So wie offensichtlich Turrini, der im selben Interview sagt: "Ich bin für die standrechtliche Erschießung von Regisseuren und Dramaturgen, die mir meinen Theaterbeitrag wegnehmen." Auch wenn die Erschießung nur eine Übertreibung ist, ist das ziemlich daneben.

Das Mickey-Mouse-Problem

Tatsache ist: Es gibt keine Erosion des Urheberrechts, sondern ganz im Gegenteil eine permanente Verschärfung der rechtlichen Regelungen, der aktuellste Fall ist das ACTA-Abkommen. Während ich diesen Text schreibe, lese ich auf twitter: Beatrix Karl hat im Bundesrat ACTA-Gegner mit Urheberrechtsgegnern gleichgesetzt... es ist offensichtlich, welche Seite hier die undifferenzierte, polemische Debatte führt.

Mein Lieblingsbeispiel ist Mickey Mouse und das amerikanische Copyright. Als die Maus 1928 in dem Kurzfilm "Steamboat Willie" das Licht der Kinoleinwand erblickte, hatte das Copyright eine Laufzeit von 56 Jahren. Kurz bevor es auslief und Mickey ein freies Kulturgut für alle Menschen hätte werden sollen, wurde die Laufzeit auf 75 Jahre verlängert. Als auch diese Spanne erreicht war, unterschrieb Bill Clinton himself als letzten Akt als Präsident eine Verlängerung auf 95 Jahre. Das betrifft natürlich nicht nur Mickey, sondern alle Kulturgüter in den USA. Die magische Linie ist 1923, das Jahr, in dem der Tonfilm erfunden wurde. Kein nach 1923 geschaffenes Werk wurde in den USA bisher Gemeingut, so wie zuvor die Werke der Klassiker.

Die Frage ist nicht, ob das Copyright abgeschafft wird, sondern ob es demnächst wieder verlängert wird. Jeder Präsident, der das nicht tut, wird die gesamte Medienindustrie gegen sich haben.

Das ist das Problem, vor dem wir tatsächlich stehen und das Turrini und seinesgleichen verdecken: Die Kontrolle wird rechtlich und technisch permanent verschärft, nicht gelockert.

Geistiges Eigentum

In Europa ist die Situation nicht viel anders. Das Urheberrecht im deutschsprachigen Raum unterscheidet sich grundlegend vom angloamerikanischen Copyright: Das Copyright ist ein Eigentumsrecht am Werk, das beliebig gehandelt werden kann. Es hat in gewissem Sinne Warenform. Das Urheberrecht bleibt immer beim Urheber, es kann nicht veräußert und übertragen werden, Verwerter können "nur" gewisse Nutzungen lizensieren. Wenn Turrini schreibt, dass das Urheberrecht vor über hundert Jahren mühsam erkämpft wurde, dann sollte er dazu sagen, dass es inzwischen ausgehöhlt wird. Nicht von pickeligen Jugendlichen, sondern von Großkonzernen und ihren Lobbys, die es in eine Warenform bringen und diese mit harschen Gesetzen und Überwachungstechnologien absichern wollen. Der Kampfbegriff dafür ist "Geistiges Eigentum". Aber das ist eine andere, längere Geschichte.

In einer nicht perfekten Welt

Nochmal: Man darf, wenn man die Ausritte von Turrini und Karl für falsch hält, nicht in die selbe Falle tappen. Man sollte nicht ans andere Spektrum der Argumentation gehen, nur weil man sich ärgert.

KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, ErfinderInnen, JournalistInnen sollten für ihre kreative Arbeit so entlohnt werden, dass sie noch mehr kreativ sein können. Nicht nur in ihrem Interesse, sondern auch in unserem als KonsumentInnen. In einer nicht perfekten Welt wird das juristische und technische Spielregeln erfordern, die nicht perfekt sind. Diese gilt es in den nächsten Jahren auszuhandeln. Ohne einem Vokabular wie Diebstahl, Bande und Feiglinge, ohne Erschießungen und ohne Pickel. Und vielleicht am besten ohne Turrini. (Michel Reimon, derStandard.at, 4.5.2012)