St. Gallen - FIFA-Präsident Joseph Blatter hat die Aufrufe von Politikern zum Boykott der Fußball-EM (8. Juni bis 1. Juli) in der Ukraine scharf kritisiert. "Die Politiker sollten sich jetzt beziehen auf die Werte des Sports. Und bevor sie von Boykott sprechen, sollte man sich überlegen, was das nach sich zieht", sagte der Chef des Fußball-Weltverbandes (FIFA) dem "Deutschen Anleger Fernsehen" am Donnerstag bei einem Symposium in St. Gallen. Blatter lehnt eine Verlegung ab. "Die EM muss durchgeführt werden, wo sie ist. Der Fußball soll die Leute zusammenbringen und nicht trennen."

Auch Polen gegen Boykott-Forderungen

Co-Gastgeber Polen hat sich indes fünf Wochen vor dem Eröffnungsspiel mit drastischen Worten in die Diskussion um die Menschenrechtssituation in der Ukraine eingeschaltet. Ministerpräsident Donald Tusk warnte den Mitausrichter, der Ruf der Ukraine werde "gewaltigen Schaden nehmen", sollte sich die Lage der inhaftierten und schwer erkrankten Oppositionellen Julija Timoschenko nicht bessern. Allerdings erklärte Tusk, er halte nichts von Forderungen nach einem sportlichen Boykott der Endrunde - sie seien "unangemessen".

Einen Boykott als Reaktion auf den Umgang der ukrainischen Regierung mit Timoschenko lehnt auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach weiter ab. "Das darf, kann und wird nicht infrage kommen. Wir bereiten uns als DFB weiter sportlich, logistisch und auch politisch vor - wie seit Wochen", sagte der Verbandsboss.

Allerdings ergänzte Niersbach: "Ein klarer Standpunkt der UEFA wäre hilfreich für alle teilnehmenden Länder. Aber die Grundposition, die Präsident Michel Platini hat, ist die, die auch der DFB als Sportverband hat: Bitte überfordert uns nicht. Das Problem muss die Politik lösen."

Die 27-köpfige EU-Kommission um Präsident José Manuel Barroso kündigte indes an, den Spielen in der Ukraine geschlossen fernzubleiben. Das geht aus einer von der EU-Delegation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew veröffentlichten Erklärung hervor.

Kallen: "Da gibt es kein Zurück"

Trotz der jüngsten Anschlagsserie in Dnjepropetrowsk und der Diskussion um Timoschenko sieht auch Martin Kallen, Chef des Organisations-Komitees der EM, keinen Grund, das Turnier zu verlegen. "Zur Zeit stellt sich die Frage nicht. Die Vorbereitungen laufen gut. Wir sind keine politische Organisation", sagte Kallen in einem Interview im Fachmagazin kicker.

Erst am vergangenen Montag habe man die Lage bei der UEFA in Nyon besprochen und eine Bilanz gezogen. Es habe nur ganz wenige offene Punkte gegeben. Eine Verlegung sei jedoch nie ein Thema gewesen. "Schon in der kommenden Woche, am 11. Mai, übernehmen wir die Stadien. Mit gewissen Projekten sind wir schon drin. Da gibt es kein Zurück", sagte der OK-Chef.

Ingesamt glaubt der 48-Jährige, dass sowohl Polen als auch die Ukraine sehr gut aufgestellt seien. Von der Organisation her sei er zufrieden, bemerkte Kallen, "die politische Dimension wird vor allem in Deutschland relativ groß geschrieben. Das Schwierigste für uns war, dass es in der vergangenen Woche einen Bombenanschlag in Dnjepropetrowsk gegeben hat. Der hatte aber nichts mit dem Turnier zu tun, nichts mit dem Fußball. Das kann es überall geben, war aber sicher zum falschen Zeitpunkt."

"Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass die Lage so sicher ist, als wenn man nach Deutschland oder in die Schweiz geht. Es ist zurzeit kein Problem, dort Spiele durchzuführen. Der Anschlag in Dnjepropetrowsk ist ein Einzelfall, der noch nicht aufgeklärt ist. Die Behörden in der Ukraine sind jedenfalls nicht stark beunruhigt. Das Land ist verantwortlich für die Sicherheit, nicht die UEFA", sagte Kallen. (sid, APA, 3.5.2012)