Optisches Gendern auf einem Werbeplakat der Stadt Wien unter dem Motto "Sehen Sie das mal anders".

Foto: wien.gv.at

Die Wahrheit sollen Journalisten und Journalistinnen ans Licht bringen. Die Wahrheit verspricht auch das Nachrichtenmagazin Profil, das in seiner ersten April-Ausgabe auf dem Titelblatt ankündigte, "die Wahrheit über die Ungleichheit" aufzudecken sowie die "klaffende Lohnlücke zwischen Männern und Frauen" als "Mythos" zu entlarven. Bebildert wurde diese Ankündigung mit der Großaufnahme des Gesichts einer Frau, die uns schelmisch zuzwinkert. Wir wissen nicht, gehört sie zu denen, die mit "List und Lücke" gegen die Lohndifferenz "trommeln"? Oder zeigt sie uns, dass die Redaktion das mit der Wahrheit nicht ganz so ernst meint?

Die Autoren der Titelgeschichte Gernot Bauer und Robert Treichler bieten Zahlen, die belegen sollen, "dass der sogenannte 'Gender Pay Gap' nicht im dramatischen zwei-, sondern im moderaten einstelligen Bereich liegt." Aus den Ergebnissen ihrer sicher nicht als umfassend zu bezeichnenden Recherchen und aus zweifelhaften Dateninterpretationen leiten die Autoren dann ab, dass "Frauenpolitikerinnen aller Couleurs bewusst mit falschen Zahlen operieren", um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Bewusst! Operiert Profil auch bewusst? Was da als "nüchterne Faktenschau" deklariert und mit einem apodiktischen "wahr ist" eingeleitet wird, ist so wenig sensationell, enthüllt so wenig, dass es sich kaum für eine Generalabrechnung mit "den Politikerinnen", "den Feministinnen", "der Lohnlückenpolizei" etc. eignet.

Doris Weichselbaumer hat im STANDARD u. a. darauf hingewiesen, dass die Lohndifferenz zu erklären noch keineswegs heißt, dass diese gerecht ist. Die recht dürren Fakten und keineswegs neuen Interpretationen in der Profil-Titelstory erhalten ihre Bedeutung erst durch ihre spezifische Rahmung, denn sie werden verwendet, um den Anspruch von Frauen auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft pauschal zurückzuweisen.

Damit stehen die Profiler nicht allein, denn kaum war ihre neueste Nachricht in der Welt, griffen sie andere Blätter begeistert auf. Im STANDARD durfte Georg Schildhammer (auf derselben Seite, auf der Doris Weichselbaumers Text erschien, Anm. d. Red.) seine Wut auf "besagte Frauenpolitikerinnen" und alle Frauen, "die sich an die 25-Prozent-Lüge klammern und dabei aggressiv und polemisch auftreten" herausschreiben. Seine Wut trifft auch die von ihm als "Star-Kolumnistin" bezeichnete Elfriede Hammerl, der er Nachhilfe in Sachen Marktwirtschaft meint geben zu müssen: Erstens: "Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis." Wie war das noch mit dem Pflegepersonal und den Bankern? Zweitens, ein höherer Verdienst basiert auf "Mehrleistung und besserem Verhandeln." So faul können wir alle doch gar nicht sein, dass nach dieser Logik Spitzenmanager ihre Gehälter zu Recht verdienen.

Denjenigen, die sich in der lautstarken Debatte als Retter von Wahrheit und Vernunft gegen den Feminismus, die Gender Studies, das Gender-Mainstreaming gerieren, geht es zuvorderst um die Verankerung ihrer eigenen ideologischen Position: konsequente Individualisierung und Abwehr von Gerechtigkeitsansprüchen gesellschaftlicher Gruppen

Frauen-Bashing ist "in"

"There is no such thing as society", hat Margaret Thatcher einst verkündet, und Jahrzehnte später findet sich in vielen europäischen Medien dieselbe Debatte, angekündigt als Tabubruch und Wahrheitsverkündung.

Dabei setzen die Wortführer der Debatte auf eine Wirkung, die in der Kommunikationswissenschaft als Wahrheits-Effekt bezeichnet wird: Man muss eine Aussage nur oft genug wiederholen, dann bleibt sie schon, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, hängen. Nicht umsonst heißt die Satireseite der Berliner Tages Zeitung "Die Wahrheit". Warum sachlich, wenn es persönlich geht? Warum recherchieren, wenn man schreiben kann? Warum beweisen, wenn man behaupten kann?

Für Feminismus- und Frauen-Bashing erhält man offensichtlich Applaus, wie auch Leserbriefe und die eindeutigen Kommentare in diversen Internetforen zeigen – die Frage ist, von wem? (Elisabeth Klaus, Laura Gruber, Martina Thiele, DER STANDARD, 4.5.2012)