Überlebende im Sterben der gerichtlichen Auktionshallen: Die Versteigerungshalle im Bezirksgericht Donaustadt, Wien.

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Einmal pro Woche wird hier mit allerlei Gepfändetem und Beschlagnahmtem gedealt.

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Enttäuschte Besucher.

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Einer war erfolgreich.

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Mehrere Männer mit ausgebeulten Lederjacken und schütterem Haar drängen sich vor den Schaukästen, murmeln, kritzeln mit Werbekugelschreibern ein paar Ziffern in Notizbücher. Jeder Gegenstand hat seine Nummer. Ein Gasrevolver. Jeans in Übergröße. Ein Wasserpfeifenset mit Cannabislogo, kompaktes Reiseformat. Mehrere Zigarren, ein paar Ölbilder, eine Reisetasche, gefüllt mit Haarschampooflaschen. Die Zeiten waren schon einmal besser, hier in der Auktionshalle des Bezirksgerichts Wien-Donaustadt. Zwei Männer um die 50 stoßen laute Seufzer aus. Nur ein einziger Flachbildschirm heute? Zahlt sich nicht aus. Die Männer ziehen los, bevor die Auktion begonnen hat. 

Dann schrillt die Glocke, die Saaltür schließt sich. Vorne beugt sich die Auktionsleiterin, eine gut gelaunte Mittdreißigerin, zum Mikrofon auf dem Schreibtisch. "Die Auktionsbedingungen werden als bekannt vorausgesetzt", verkündet sie den rund 40 Übriggebliebenen, und niemand protestiert. Die Stammkundschaft kennt ihr Geschäft. Draußen scheint die Sonne an diesem Vormittag, drinnen bringen schrille Neonröhren den beige gesprenkelten PVC-Bodenbelag zum Blitzen. Die erste Runde beginnt. "98 Patronen, Kaliber 22, Schätzwert 70 Euro."

Spielzeug und Schrotflinte

Mehrere Hände melden sich, jede Hand wiegt fünf Euro: "30, 35, 40 ...", zählt Auktionshelfer Gerhard Schodl mit. Ein älterer Herr ersteht die Munition um 70 Euro. "No, braucht do kana a Spüzeigplastikpistoln?", fragt Schodl, als eine Softgun, Rufpreis zehn Euro, keinen Bieter findet. Da ist das Jagdgewehr schon beliebter. Ein dünner weißhaariger Mann mit zittrigen Händen ersteht das mächtige Gerät um 420 Euro. "Laden S' uns dann eh zum Essen ein, gell? Die Knödeln nehm ma selba mit", witzelt die Auktionsleiterin.

Die Stimmung ist kegelrundenhaft locker an diesem Vormittag. Die Holzstühle bleiben leer, nur wenige Auktionsbesucher nehmen Platz, die übrigen gehen im Saal umher wie am Wochenmarkt, scherzen in Grüppchen, man kennt sich. "Ich bin da, seit ich 18 war", erzählt Walter M. (Name d. Red. bekannt), ein Mitfünfziger mit Bierbauch und Sakko. Heute ersteigert er mehrere Ölgemälde. "Fluss, Baum und Berg" und "Winterlandschaft" um je 15 Euro, "Nackte Frau" um 18 Euro. "Die gfalln mir, die häng ich mir auf", sagt er.

Vor kurzer Zeit zierten die Bilder noch die Wände eines Wohnzimmers im 16. Bezirk, Heim einer Familie mit mehreren Kindern. Wegen ein paar hundert Euro Schulden klopfte die Gerichtsvollzieherin an - nie bezahlte Familienaufnahmen, angefertigt im Fotostudio, erzählt der Inkassobetreiber, der nicht genannt werden will -, doch selbst dieser Betrag überstieg das Mögliche. Also wurde gepfändet - in diesem Fall drei Bilder im Wohnzimmer. 48 Euro bringen sie ein - eine lächerliche Summe, wenn man bedenkt, dass aus den ursprünglichen Schulden von 300 Euro längst ein vierstelliger Betrag geworden ist: Zinsen, Spesen, Anwaltskosten.

Wenig zu versteigern

Privates Hab und Gut zu versteigern, um damit Schulden zu bezahlen - das geschieht an Bezirksgerichten seit eh und je. Doch die Erträge sinken beständig. "Früher hamma dreimal pro Woche versteigert", seufzt Schodl, "jetzt nur noch einmal." Und auch dieser wöchentliche Versteigerungstermin schien noch vor ein paar Monaten zu wackeln. Doch der "Krieg der Giganten" , wie eine Gerichtsbedienstete den Überlebenskampf der Bezirksgerichte Mödling und Wien-Donaustadt beschreibt, ging zugunsten der Donaustadt aus: Ende März sperrte die Auktionshalle Mödling in Niederösterreich zu, seither ist "die Donaustadt" die letzte gerichtliche Auktionshalle Österreichs. Vor acht Jahren waren in Österreich noch sieben Versteigerungshallen in Betrieb. 

Warum die Auktionshallen sterben, wird im Justizministerium nur vage umschrieben. "Wirtschaftliche Gründe" und die "geringe Auslastung" seien schuld, sagt Sprecherin Dagmar Albegger. Fest steht: Weniger gepfändet wird nicht. Die Zahl der sogenannten Fahrnisexekutionen lag in den vergangenen 15 Jahren unverändert bei knapp einer Million Anträgen pro Jahr. Aber der Erlös pro Pfändung ist stark gesunken.

Österreichs Haushalte haben nicht weniger Besitz - aber der Besitz wird immer weniger wert. "Früher war eine funktionierende Uhr ein Wertgegenstand, man hat sie versetzen können. Heute bekommt man eine Uhr schon um 9,99 Euro", erklärt Alexander Maly von der Schuldnerberatung Wien. Eine Halskette oder eine CD-Sammlung haben zwar einen hohen ideellen Wert für den oder die EigentümerIn, doch einen lächerlichen Versteigerungswert. "Vor 20 Jahren konnte man mit einem PC noch einen schönen Preis erzielen. Heute muss es fast ein Fabergé-Ei sein, um daraus Schulden bezahlen zu können", meint Maly.

Der Staat schneidet mit

"Wie viel Geld bei den Pfändungen hereinkommt, können wir leider nicht sagen", bedauert die Ministeriumssprecherin. Dass die Pfändungseinnahmen im Dunklen bleiben, hat Gründe, vermutet Alexander Maly: "Für die Gläubiger zahlen sich die Pfändungen nicht aus. Aber man hört, dass die Justiz ganz gut daran verdient." Bei jeder Pfändung bekommt der Staat ein Stück vom Kuchen - zu Lasten der Verschuldeten. Für jede durchgeführte Exekution kassiert der Staat mindestens sechs Euro, werden Gegenstände abgeholt, zusätzlich sieben Euro. 

"Die Justiz verdient am allermeisten", glaubt auch Rudolf Wessely, hartgesottener Gerichtsvollzieher in Wien. Seit 38 Jahren klopft Wessely pro Arbeitstag an 15 bis 20 Wohnungstüren und fordert Bares und Versteigerbares. "Die Erfolgserlebnisse werden weniger", stöhnt Wessely. Es gebe immer weniger zu pfänden. Das liegt nicht etwa daran, dass es weniger verschuldete Menschen gibt - in den einzelnen Wohnungen gebe es einfach immer weniger zu holen: "Heut um sechs in der Früh war ich bei einem Klienten, der hat nicht einmal einen Fernseher."

Andere besitzen zwar Unterhaltungselektronik, für Wessely sind sie dennoch "uninteressant": "Einen Röhrenfernseher oder eine Stereoanlage schaut heute keiner mehr an." Bei der Zwangsversteigerung bleiben sie übrig, eine Pfändung wäre somit zwecklos. Der Druck, auch noch das letzte Familiensilber zu verwerten, ist dennoch hoch. Ob Uromas Brosche oder ein Andenken an den verstorbenen Ehemann: Alles wird verwertet. Einzige Ausnahme ist der Ehering - vorausgesetzt, man ist nicht geschieden. 

Einerseits drohen SchuldnerInnen bis zu sechs Monate Haft, wenn sie nicht ihr gesamtes Vermögen offenlegen. Andererseits sind Gerichtsvollzieher an den eingetriebenen Forderungen erfolgsbeteiligt. "Dadurch bemüht man sich natürlich um ein gutes Ergebnis", erklärt Wessely. Pro Pfändung fallen für den Exekutor mindestens elf Euro ab - unabhängig vom Versteigerungsergebnis. Werden Gegenstände im Wert von 1.000 Euro gepfändet, bekommt der Gerichtsvollzieher 26 Euro, dazu kommt eine Zulage pro Amtsweg. Höher ist die Beteiligung bei einer Wohnungsräumung: Hier fallen 30 Euro für den Exekutor ab.

Erfolgsbeteiligt

Rudolf Wessely ist für zwei Grätzel im ersten und im dritten Bezirk zuständig. Sind es in der Innenstadt eher Geschäftsleute, deren Schulden er eintreibt, so treffe er in Wien-Landstraße meist auf private SchuldnerInnen. "In Simmering, Favoriten, Rudolfsheim ist der Großteil uneinbringlich", weiß er aus dem Kollegenkreis. In seinem Rayon gibt es mehr zu holen. "Ich bin der ertragsstärkste Gerichtsvollzieher in Ostösterreich", erzählt Wessely stolz. Er verdanke das seiner langjährigen Berufserfahrung, sagt der stämmige Wiener mit der schwarzen Lederjacke: "80 Prozent der Leute, bei denen ich anklopf', kenn' ich schon sehr gut", lacht Wessely. "Ich weiß, wann sie daheim sind - und sie wissen, dass man mit mir reden kann." 

Nein, er drücke kein Auge zu, wenn es um Pfändungen geht, stellt Wessely klar. "Aber wenn einer willig ist, dann gibt's eine Ratenzahlung." So komme es, dass manche Schuldner jede Woche aufs Neue zum Bezirksgericht in der Marxergasse pilgern, wenn Wessely Amtsstunden abhält. Dann kassiert er hier fünf, da zehn Euro - so lange, bis der Strafzettel, die GIS-Gebühr, die offene Handyrechnung beglichen ist. 

Gelingt das nicht, wird gepfändet - und das kann allerorten und jederzeit geschehen. Wer beim Zigarettenholen oder beim Müllentsorgen auf Wessely trifft, "der kann so schnell gar nicht schauen, ist sein Geldbörsel leer", meint der Exekutor. Taschenpfändung ist Routinesache - den dazu passenden Exekutionstitel hat der Beamte meist griffbereit in seiner Aktentasche.

"Jeder Gerichtsvollzieher hat seine Stammkundschaft", sagt Wessely. So unterschiedlich die Charaktere, so ähnlich sind die ökonomischen Verhältnisse. Der Großteil der privaten SchuldnerInnen lebe von Arbeitslosenhilfe oder Mindestsicherung. Die Konsumansprüche seien zu hoch, glaubt Wessely: "Wenn ich kein Geld hab, dann kann ich mir auch kein teures Handy leisten, so ist das halt." Doch laut Statistiken der Schuldnerberatungen ist der schlechte Umgang mit Geld nur bei 13 Prozent der Grund für Überschuldung. Hauptschuld sind Arbeitslosigkeit oder Einkommensverschlechterung - bei gleich bleibenden Fixkosten.

43 Prozent der Menschen, die sich wegen einer Überschuldung an eine der Schuldnerberatungsstellen wenden, sind wegen Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit in die Überschuldung geschlittert oder weil der Partner oder die Partnerin arbeitslos geworden ist. Im Jahr 2008 lag dieser Anteil noch bei 19 Prozent.

Alles hängt vom Job ab

Gleichzeitig ist die Zahl der KreditnehmerInnen in den letzten 20 Jahren rapide gestiegen. Das Volumen der Privatkredite wuchs jährlich im zweistelligen Prozentbereich. "Wer halbwegs vernünftig kalkuliert, kann den Kredit zurückzahlen, solange er ein regelmäßiges Einkommen bezieht", sagt Schuldnerberater Maly. "Problematisch wird es, wenn man den Job verliert." Die Schuldenspirale beginnt sich zu drehen, und sie dreht sich auch dann weiter, wenn man wieder einen neuen Job gefunden hat.

Schulden abzustottern wird hingegen immer schwieriger. Gelingt es, etwas zurückzuzahlen, dann schneiden einige Beteiligte mit: die Rechtsvertretung des Gläubigers oder der Gläubigerin, meist ein Inkassobüro, der oder die Gerichtsvollzieher, der Staat. Erst der Restbetrag dient dann dazu, Forderungen zu tilgen. Die Verschuldung bleibt - zerronnenes Geldvermögen, geflossen in Besitz, der nichts wert ist und nie mehr zu Geld gemacht werden kann. Am Ende der Besitzkette bleiben jene, die auch beim mageren Rest noch die besten Stücke zu verwerten wissen. Walter M. ist einer von ihnen. Während der Wiener im Auktionssaal gerade 30 Euro für eine alte ORF-Kamera bietet, wartet sein kleiner Husky im Auto. "Mein Herz hängt an ihm", sagt M., als er das hechelnde Tier nach der Auktion aus dem Kofferraum holt. Auch der Hund stammt aus einer anderen Wohnung. Ein zwangsversteigertes Lebewesen als Pfändungserlös für nicht bezahlte Rechnungen.

"Hin und wieder steigere ich selbst mit", sagt Günter W., ein Inkassounternehmer, der nicht genannt werden will. "Später verkaufe ich das Zeug den Schuldnern wieder. Wissen S', die hängen oft so dran, die zahlen mir viel mehr, als ich bei der Auktion dafür ausgeb'." Gewissensbisse? "Überhaupt nicht", sagt W. Geld gegen Ware, Ware gegen Geld, ein ewiger Kreislauf: "Mein Gott, so ist das Leben." (Maria Sterkl, derStandard.at, 16.5.2012)