Ran an den Käse: In Experimenten mussten Sibirische Huskys (im Bild) genauso wie Wölfe Strategien entwickeln, um ein an einer Schnur befestigtes Stück Käse zu erhaschen. Dabei zeigte sich, dass sich manche geschickter anstellten als die anderen.

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Die meisten Hundebesitzer sind davon überzeugt, dass ihr vierbeiniger Gefährte wenn nicht jedes Wort, so doch ziemlich viel von dem versteht, was man zu ihm spricht. Bis zu einem gewissen Grad haben sie damit wahrscheinlich nicht unrecht: Zahlreiche Studien bestätigen, dass Hunde im Lauf ihrer Partnerschaft mit dem Menschen sehr gut darin geworden sind, dessen Blicke, Handsignale, Tonlagen zu lesen und zu deuten.

Im Gegenzug dazu unterstellen ihnen jedoch viele Forscher, praktische Intelligenz eingebüßt zu haben. Eine Hypothese, der Friederike Range, Helene Möslinger und Zsófia Virányi vom Messerli-Forschungsinstitut der Vetermedizinischen Universität Wien und dem Wolf Science Center Ernstbrunn im Zuge eines FWF-Projekts nachgegangen sind.

Wer stellt sich bei der Lösung praktischer Probleme gescheiter an: der seit rund 10.000 Jahren mit dem Menschen vergesellschaftete Hund oder sein wild lebender Stammvater, der Wolf? Hunde werden gewöhnlich von ihrem Besitzer gefüttert und haben daher wenig Veranlassung, große Energien in den Nahrungserwerb zu investieren. Wölfe hingegen holen sich ihr Fressen, wo und wie immer es geht, und je schlauer sie vorgehen, desto höher sind ihre Überlebenschancen. Unter diesen Umständen könnte es leicht sein, dass Wölfe in praktischen Dingen intelligenter sind als ihre domestizierten Verwandten - tatsächlich schnitten Hunde bei entsprechenden Aufgabenstellungen bisher schlecht ab.

Kaum untersucht wurde bis jetzt jedoch, ob Wölfe bessere Ergebnisse erzielen. In ihrem Forschungsprojekt testeten Friederike Range und ihre Kolleginnen je neun Wölfe (sechs davon vom Wolf Park in den USA, drei vom Wolf Science Center Ernstbrunn) und Sibirische Huskys (von der Mountain Wolf Farm in Oberösterreich) auf ihre Einsicht in physikalische Verhältnisse. Die Wölfe waren alle handaufgezogen und wurden ab dem Alter von drei bis fünf Monaten in Gruppen in großen Außengehegen gehalten, die Hunde waren in Rudeln von drei bis fünf Tieren in Zwingern untergebracht. Beide Arten hatten häufige Kontakte mit Menschen, aber keine einzelne Bezugsperson. Um ihr physikalisches Verständnis zu testen, wurden sie sogenannten String-Pulling-(Schnüreziehen)-Tests unterzogen.

Dabei geht es darum, einen Leckerbissen - im konkreten Fall ein Stück Käse - zu ergattern, das, an einer Schnur befestigt, hinter einem Zaun liegt und nur durch Ziehen an der Schnur in Fressweite gebracht werden kann. Schon die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Schnur und Beute kann eine Herausforderung darstellen, wurde aber von allen Versuchstieren weitgehend problemlos absolviert.

Herausfordernde Versuche

Dann machten es die Wissenschafterinnen schwieriger: Von jetzt an gab es immer zwei Schnüre, aber in verschiedenen Anordnungen. Einmal war nur an einem Ende wirklich ein Käsestück befestigt, während eine weitere Schnur zehn Zentimeter vor dem zweiten Käse endete. Im nächsten Experiment war von zwei parallelen Stricken nur einer mit einem Leckerbissen versehen, sie waren aber so angeordnet, dass die "leere" Schnur näher am Käse lag als die zum Erfolg führende. Und schließlich wurden die Schnüre gekreuzt geführt, wobei nur eine "beködert" war - eine Anordnung, mit der selbst Primaten große Schwierigkeiten haben.

Beim Vorliegen echter Einsicht dürfte man erwarten, dass die Tiere deutlich häufiger an der richtigen Schnur ziehen als an der falschen, was für Primaten und einige Vogelarten nachgewiesen werden konnte. Bei Ranges Untersuchungen war das weder bei den Hunden noch bei den Wölfen der Fall. Allerdings schnitten die Wölfe bei dem Experiment, bei dem nur eine der beiden Schnüre wirklich mit dem Käse verbunden war, die zweite aber kurz davor endete, deutlich besser ab.

Zwar zeigten auch sie anfänglich kein verständiges Verhalten, lernten aber im Laufe von 20 Durchgängen dazu, sodass sie in den letzten zehn Durchgängen deutlich öfter als zufällig die richtige Schnur wählten. Die Hunde hingegen entwickelten im Lauf des Experiments aus bisher ungeklärter Ursache eine Vorliebe für die kurze, leere Schnur.

Als weitgehend artspezifisch erwiesen sich die Fehler, die beide Gruppen machten: Wie schon andere Hunde in früheren Untersuchungen neigten auch die Huskys dazu, immer an dem Strang zu ziehen, der der Belohnung am nächsten lag. Die Wölfe hingegen entschieden sich häufig für die linke oder rechte Schnur und zogen in der Folge an dieser auch dann viel öfter, wenn das nicht den gewünschten Effekt hatte.

Bemerkenswert ist auch, dass, obwohl Wölfe und Hunde als Gesamtheit ähnlich schlecht abschnitten, es in beiden Gruppen einzelne Tiere gab, die deutlich bessere Ergebnisse erzielten: Bei dem Experiment mit den zwei Käsestücken und der zu kurzen Schnur schaffte ein Wolf auf Anhieb sechs Richtige, allerdings konnte er den Erfolg am Ende der Versuchsreihe nicht wiederholen.

Wenig einsichtiges Verhalten

"Denkbar ist, dass er beim ersten Durchgang eine Art Faustregel verwendet hat", gibt Friederike Range Erklärungsmöglichkeiten, "oder er wurde durch die folgenden schwierigeren Aufgaben, die er nicht lösen konnte, verwirrt." Bei den parallelen Schnüren wurden ein Hund und ein Wolf im Lauf des Experiments immer besser und entschieden sich in den letzten zwölf Durchgängen signifikant häufiger für die richtige Variante, und bei den gekreuzten Schnüren schaffte ein Wolf ganz ähnliche Ergebnisse.

"Unsere Untersuchungen weisen darauf hin, dass weder Wölfe noch Hunde wirklich einsichtiges Verhalten an den Tag legen", fasst Range zusammen, " aber auch, dass zumindest einige Tiere imstande sind, relativ rasch zu lernen, wie man solche Aufgaben löst." Und bevor wir uns einen wölfischen "Einstein" vorstellen: Bei den Wölfen, die bei manchen Experimenten so gut abschnitten, handelte es sich immer um ein anderes Exemplar. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 02.05.2012)