Tschernobyl/Berlin/Brüssel/Wien - Nach wachsendem internationalen Druck im Fall Julia Timoschenko hat die Ukraine eine Untersuchung der Vorwürfe angeordnet, die Oppositionspolitikerin sei im Gefängnis misshandelt worden. Er habe die Generalstaatsanwaltschaft angewiesen, der Frage nachzugehen, sagte Präsident Viktor Janukowitsch am Donnerstag. Die Europäische Union will sich selbst ein Bild machen. Die Behörden der Ukraine seien gebeten worden, den EU-Botschafter in Kiew zu der erkrankten Politikerin vorzulassen, ließ die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Donnerstag mitteilen.

Er hoffe auf eine schnelle Klärung der Vorwürfe Timoschenkos, sagte Janukowitsch bei einer Veranstaltung zum Baubeginn der neuen Betonhülle für das zerstörte Atomkraftwerk von Tschernobyl. Tags zuvor hatte Vizeregierungschef Waleri Choroschkowski nicht ausgeschlossen, dass Timoschenko ins Ausland entlassen werden könnte. Wenn die Frage in den Verhandlungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen die einzig offene bleibe, sei eine solche Ausnahme denkbar, sagte er in Brüssel. Deutschland hat die Aufnahme Timoschenkos zur medizinischen Behandlung angeboten.

Hungerstreik

Timoschenko, die seit Monaten angeblich unter starken Rückenschmerzen leidet, war am vergangenen Freitag aus Protest gegen ihre Haftbedingungen in einen Hungerstreik getreten. Die 51-Jährige wirft den Behörden vor, sie unter Gewaltanwendung vorübergehend aus ihrem Gefängnis in Charkiw (Charkow) zur Behandlung in ein Krankenhaus verlegt zu haben. Die Ex-Regierungschefin verbüßt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs. Grund ist ein Gasgeschäft mit Russland in ihrer Zeit als Ministerpräsidentin. Timoschenko sieht das Verfahren als Racheakt ihres langjährigen politischen Rivalen Janukowitsch.

EU-Außenministerin Catherine Ashton zeigte sich am Donnerstag "zutiefst besorgt". Sie forderte die Ukraine auf, einen Besuch des EU-Botschafters bei Timoschenko mit unabhängigen medizinischen Experten zuzulassen. Auch die deutsche Regierung hielt den Druck auf Kiew weiter aufrecht. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich beabsichtigt, bei der Fußball-Europameisterschaft im Juni zum Spiel Deutschland gegen Niederlande in Charkiw zu fahren. "Sollte Frau Timoschenko bis dahin noch in Haft sein, möchte ich mit ihr sprechen", sagte der auch für den Sport zuständige Minister. Der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning (FDP) verlangte die Freilassung der ehemaligen ukrainischen Regierungschefin. Ebenso wie mehrere deutsche Minister sprach er sich im Deutschlandradio Kultur dagegen aus, zu einem Boykott der Fußball-EM aufzurufen.

Die Entscheidung des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, eine für Mitte Mai geplante Reise in die Ukraine abzusagen, stieß in Deutschland parteiübergreifend auf Zustimmung. "Ich finde, dass der Herr Bundespräsident eine richtige Entscheidung getroffen hat", sagte Außenminister Guido Westerwelle. Im Zusammenhang mit Timoschenkos Inhaftierung hatte sich Gauck entschieden, nicht zu einem für Mitte Mai geplanten Treffen mitteleuropäischer Staatsoberhäupter in die Ukraine zu reisen, hatte Gaucks Sprecher zuvor in Berlin erklärt. Ob Gauck zur Fußball-EM in die Ukraine reise, ist noch "vollkommen offen".

Auch Österreich verfolgt die Situation um Timoschenko "mit großer Sorge", wie ein Sprecher von Außenminister Michael Spindelegger (V) am Donnerstag gegenüber der APA sagte. Es sei klar, dass der Umgang mit Timoschenko auf die Beurteilung der Rechtsstaatlichkeit der Ukraine Einfluss habe. Die Ukraine wurde von der EU aufgerufen, gemeinsame Werte zu wahren. Dies sei wesentlich für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem osteuropäischen Land, sagte Alexander Schallenberg.

Nach Angaben deutscher Ärzte leidet Timoschenko unter chronischen Schmerzen und muss behandelt werden. Ihr Bandscheibenvorfall Anfang des Jahres sei unsachgemäß versorgt worden und habe sich zu einem chronischen Leiden verschlechtert, sagte der Chef der Berliner Universitätsklinik Charité, Karl Max Einhäupl, Reuters-TV. Ärzte der Charité hatten die Oppositionsführerin vor zwei Wochen vor Ort untersucht. "Sie hat uns gesagt, dass sie Medikamente bekommen habe, wenn sie bereit war, sich vernehmen zu lassen. Wir haben das nicht überprüfen können, und die ukrainischen Behörden haben dem widersprochen." Der Mediziner warnte: "Dieser Hungerstreik ist sicherlich in den ersten zwei drei Tagen nicht lebensbedrohlich, allerdings bei einer verminderten psychischen und auch körperlichen Substanz kann ein solcher Hungerstreik dann doch irgendwann in ein bedrohliches Stadium geraten." (APA/Reuters, 26.4.2012)