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James Gordon: "Die Erlebnisse im Krieg sind im Nervensystem der Soldaten gespeichert, was sich auch in immer wiederkehrenden Alpträumen und Flashbacks äußert."

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Nicht nur die Einsätze an der Front machen Soldaten zu schaffen.

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Wenn Kameraden getötet werden, plagen GIs oft jahrelang Schuldgefühle, sagt James Gordon.

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"Es gibt unter Soldaten eine Kultur der Stärke, du musst stark sein, wenn du kämpfen willst. Darum haben sie in der Zeit danach so große Schwierigkeiten, sich wieder ins zivile Leben einzugliedern", sagt der Psychiater James S. Gordon, der 1991 das Center for Mind-Body Medicine (CMBM) in Washington gegründet hat und seither Therapien für Traumapatienten in Krisengebieten wie dem Nahen Osten und dem Balkan durchführt. Seit 2007 bietet er auch Trainings für Veteranen und Militärmediziner an, die bei der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse im Feld helfen sollen. Im Interview mit derStandard.at spricht Gordon über die Unterschiede zwischen den Kriegstraumata von Soldaten und Zivilisten und die Methoden, die dabei helfen.

derStandard.at: Von Zeit zu Zeit erreichen uns Bilder marodierender US-Soldaten in Afghanistan, die Leichname schänden und die heilige Schrift der Muslime, den Koran, missbrauchen. Überrascht Sie das?

Gordon: So traurig es anzusehen ist, überraschend kommt es nicht. Im Krieg geht es ja gerade darum, jede Hemmung abzulegen. Den Feind zu töten ist die Aufgabe eines Soldaten, darum wird er in den Krieg geschickt. Dort ist die Situation so bedrohlich und die Männer so voll Adrenalin, dass diese Übergriffe fast schon als eine logische Konsequenz erscheinen. Man darf aber nicht vergessen, dass die US-Armee einen Krieg in einem fremden Land führt und mit Dingen wie den Schändungen des Koran auch Afghanen gegen sich aufbringt, die ihr vorher wohlgesonnen waren.

derStandard.at: Was berichten Ihnen Soldaten, die nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan mit solchen Berichten und Bildern konfrontiert werden?

Gordon: Es macht ihre mentale Situation jedenfalls nicht leichter. Sie fühlen sich ohnehin nicht willkommen in Afghanistan. Einige der jüngsten Angriffe auf amerikanische Soldaten durch afghanische Soldaten verstärken diesen Eindruck natürlich. Sie fragen sich: Warum bin ich hier? Was mache ich überhaupt in einem Land, wo mich keiner will? Je weniger Sinn sie in ihrem Einsatz auch im Rückblick sehen, desto schwieriger können sie mit den Erlebnissen im Kriegsgebiet umgehen.

derStandard.at: Können Sie einen typischen Soldaten beschreiben, der von Ihnen behandelt wird?

Gordon: Wir arbeiten vor allem im Bereich des Trainings von Gesundheitspersonal, das Soldaten während des Krieges und danach betreut. Viele dieser Mediziner waren auch selbst im Feld. Die meisten von ihnen - und auch die meisten der Soldaten selbst - geben sich zu Beginn ihres Einsatzes in Afghanistan und dem Irak durchaus idealistischen Motiven hin. Sie wollen die Vereinigten Staaten verteidigen oder Vergeltung für die furchtbaren Verbrechen von 9/11 übt.

Die allermeisten handeln während dieser Zeit auch ehrenhaft, sehen aber trotzdem Dinge, die kein Mensch verkraften kann, zum Beispiel wenn enge Freunde getötet oder verwundet werden. Wenn sie dann zurückkommen, durchleben fast alle Zustände erhöhter Ängstlichkeit und Anspannung. Die Erlebnisse im Krieg sind noch immer im Nervensystem der Soldaten gespeichert, was sich auch in immer wiederkehrenden Alpträumen und Flashbacks äußert. Viele haben auch starke Schuldgefühle. Sie denken, sie hätten mehr tun müssen, um ihre Kameraden zu retten. Oder sie hätten nicht schießen sollen, weil sich das Ziel im Nachhinein als Zivilist herausgestellt hat.

derStandard.at: Wie schafft man es, sich wieder im zivilen Alltag zurechtzufinden?

Gordon: Viele ziehen sich komplett aus dem Alltagsleben zurück, fühlen sich ihm nicht mehr zugehörig, isolieren sich komplett. Im Krieg ist man mit sehr wenigen Menschen auf sehr engem Raum zusammen, es gibt einen Auftrag, einen Zweck, permanente Aufregung. Wenn man dann zurückkommt, fehlen einem diese engen Bindungen an seine Kameraden, und viele merken schnell, dass ihr Umfeld gar nicht so genau wissen will, was sie in Afghanistan gemacht haben. Das ist einer der Gründe, warum US-Soldaten häufig von einem Einsatz in den nächsten ziehen.

derStandard.at: Kann man völlig ohne mentale Beeinträchtigungen aus einem Krieg zurückkehren?

Gordon: Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Ich habe aber doch einige wenige bemerkenswerte Soldaten gesehen, denen das gelungen ist. Ich habe in einem Militärspital einen Zugsführer mit furchtbar zerstörten Beinen kennengelernt, der mich sehr beeindruckt hat. Wichtig ist, dass jeder, der aus einem Krieg zurückkommt, Zugang zu organisierten Lehrgängen in puncto Selbstheilung bekommt, eine Art Dekompressions-Phase am Weg vom Kämpfer zum Zivilisten.

derStandard.at: Wie soll so eine Phase aussehen?

Gordon: Wir haben jetzt etwa 300 Mediziner ausgebildet, die alle mit Veteranen arbeiten. Sie treffen sich zweieinhalb Monate lang einmal pro Woche für zwei Stunden in kleinen Gruppen. Dort lernt man, wie man sein angespanntes zentrales Nervensystem beruhigt, es gibt Techniken, die Entspannung bringen, Techniken, die es Menschen erlauben, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Das kann auch über Bewegung gelingen, den Körper ausschütteln, tanzen, umherspringen.

Wir arbeiten auch mit Methoden, die die Vorstellungskraft anregen und Perspektiven geben. Das Wichtigste ist aber, dass die Veteranen über ihre Sorgen sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, dass davon nachher etwas in ihren Papieren steht. All diese Therapien sind meiner Erfahrung nach sehr hilfreich im Kampf gegen posttraumatische Stressstörungen und Depressionen.

derStandard.at: Was unterscheidet die Arbeit mit Veteranen von der mit vom Krieg traumatisierten Zivilisten?

Gordon: Für Soldaten ist es schwieriger zu akzeptieren, dass sie ein Problem haben und dass sie lernen müssen, damit umzugehen. Es gibt unter Soldaten eine Kultur der Stärke, du musst stark sein, wenn du kämpfen willst. Zum anderen haben Militärangehörige Angst, dass ihre Vorgesetzten Wind davon bekommen, dass sie mit ihren Erlebnissen nicht fertig werden. Andererseits sind es professionelle Soldaten aber gewöhnt, sich Techniken anzueignen, die sie weiterbringen. Bei Soldaten ist es auch wahrscheinlicher, dass sie Schuldgefühle haben, einfach weil ihre Rolle im Krieg eine aktive ist. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 25.4.2012)