Wien/Graz - Per Skalpell den Tumor wegschneiden, per Chemo- oder Strahlentherapie den bösartigen Zellen einen DNA-Schaden zufügen, der sie sterben lässt oder deren Wachstum mit möglichst zielgerichteten Medikamenten hemmen - das sind die Mittel in der Krebstherapie. Bei prognostizierten 1,3 Millionen Krebstoten im Jahr 2012 in der EU sind, trotz aller Fortschritte, weitere erfolgversprechende Strategien gefragt. Eventuell könnte das mit dem gezielteren Anvisieren des Stoffwechsels erfolgen, meinen Forscher der MedUni Graz, welche den Fettstoffwechsel von Krebszellen untersuchen.

Die Situation der Krebsforscher kommentierte im Herbst 2011 beim Europäischen Krebskongress in Stockholm der kanadische Grundlagenforscher Tak Mak so: "Mit den herkömmlichen Chemotherapeutika (Zytostatika, Anm.) haben wir um die Jahrtausendwende das Ende der Fahnenstange erreicht. (...) Wir haben in der Krebstherapie gesagt, dass wir sozusagen auf die Pferde einer Kutsche zielen. Aber wir kennen 90 Prozent von ihnen gar nicht. Wir sollten vielleicht wieder eher die 'Kutsche' anvisieren."

Zieleinlauf der bösartigen Zellen

Tak Mak will in seinen Forschungen einen seit Jahrzehnten bekannten Grundmechanismus des Krebszell-Stoffwechsels neu angehen. Der Wissenschaftler: "Wir wissen, dass Krebszellen eine enorme Menge an Zucker benötigen. Aber sie brauchen nur das 1,4-fache an dem Energieträger ATP im Vergleich zu gesunden Zellen, für ihre Biosynthese das Dreifache." Die Hypothese des Wissenschaftlers: Das 20-fache des normalen Energieverbrauchs im Vergleich zu gutartigen Zellen erfolgt in bösartigen zum Unschädlichmachen der toxischen Stoffwechselprodukte. Das sei sozusagen der Zieleinlauf aller bösartigen Zellen. Und genau dort sollte man ansetzen."

Unbestritten ist, dass schnell und ungehindert wachsende Krebszellen mit ihrer oft implizierten Tendenz zur Absiedelung in andere Organe einen im Vergleich zu gesunden Zellen erhöhten Stoffwechsel besitzen und aufrechterhalten müssen. Sonst könnten sie nicht wachsen, die notwendigen Bauteile für die Zellteilung synthetisieren und gleichzeitig überleben. Umgekehrt sind Zeichen erhöhten Stoffwechsels jene Marker, welche die Medizin zum Beispiel in der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) verwendet, um Krebszellen im Körper sichtbar zu machen: über die Anreicherung kurzzeitig radioaktiver Zuckerverbindungen, die sich eben speziell in massiv aktiven Zellen anreichern.

Blockade des Zuckerstoffwechsels

Eine zukünftige Strategie bei neuen Therapieversuchen könnte also eine Blockade des Zuckerstoffwechsels von Krebszellen sein. Eine andere - allerdings auf den Fettstoffwechsel konzentrierte - stellte Gerald Höfler, Vorstand des Instituts für Pathologie der MedUni Graz - vor einigen Tagen bei einem Vortrag am Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH vor: Die Hemmung von Lipid-abbauenden Enzymen.

Bösartige Zellen gieren auch nach Fetten

"30 bis 80 Prozent der Krebspatienten weisen im Laufe ihrer Erkrankung auch eine Kachexie (krankheitsbedingter, starker Gewichtsverlust, Anm.) auf. Bei 15 bis 20 Prozent der Betroffenen ist das die Todesursache", sagte der Pathologe Gerald Höfler bei dem Vortrag für das Wiener Comprehensive Cancer Center (CCC). Mittel, um das zu Verhindern wären auch völlig neue Strategien gegen Krebs. Abgesehen davon: auch bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder anderen schweren chronischen Erkrankungen kann es zur Kachexie kommen.

Daran offenbar hauptbeteiligt sind fettspaltende Enzyme, die Lipasen. Höfler: "Der Abbau von Triglyceriden ist ein dreistufiger Prozess. Er läuft über drei unterschiedliche Enzyme." Wahrscheinlich würden die Krebszellen weniger mehr Zucker als eher nach Bausteinen gieren, um die Membranen ihrer Zellen aufzubauen. "Woher, wenn nicht stehlen?", lautet ein Sprichwort. Alle Anzeichen deuten laut den Wissenschaftlern darauf hin, dass bösartige Zellen sich Energie und Bausteine am liebsten aus Fettgewebe und dem Abbau von Skelettmuskeln holen. Beides sind die Merkmale der sichtbaren extremen Schwächung beziehungsweise "Auszehrung" bei vielen Patienten mit bösartigen Erkrankungen.

Der Grazer Wissenschaftler und sein Team kamen in ihren Arbeiten besonders im Mausmodell weiter. Sie verpflanzten bösartige Zellen in normale Tiere beziehugnsweise in Tiere, die kein Gen für die "Adipose Triglyceride Lipase" (ATGL) aufwiesen. Das Ergebnis, so Höfler: "Diese Mäuse waren gegen die Krebs-Kachexie resistent. Eine pharmakologische (medikamentöse, Anm.) Blockade des ATGL-Enzyms könnte möglicherweise eine Kachexie verringern oder verhindern. Eine Frage ist, ob der Gewichtsverlust bei einer COPD auf dem selben Mechanismus beruht."

Freilich, derzeit sind das noch Befunde aus Tiermodellen. Die Hauptfrage ist, ob man ein solches, durchaus plausibles, Konzept auch für Therapien verwenden könnte. Sehr oft lassen sich nämlich auch die hypothetisch am ehesten realisierbaren Ideen in der Medizin im Endeffekt nicht umsetzen. (APA, 23.4.2012)