Barbara Rett und Franz Vranitzky im Gespräch anlässlich des Galaabends der Siemens Academy of Life.

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 Eines der Ziele der Siemens Academy of Life, so Wolfgang Hesoun, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG Österreich, in seinem Eingangsstatement, sei, dem Ehrengast das kleine Stückchen mehr zu entlocken, um von seinen oder ihren Erfahrungen lernen, profitieren zu können.

Auf den ersten Blick schien das, zumindest was persönliche Dinge betraf, bei Franz Vranitzky kein möglicher Ansatz zu sein. Interviews zu persönlichen Fragen zu geben habe er sich "schon wieder abgewöhnt", sagte der ehemalige Bundeskanzler vergangenen Mittwoch anlässlich des Galaabends der Siemens Academy of Life. Auf den zweiten Blick aber kam dann doch Persönliches zum Vorschein. Vranitzky sprach über seine Herkunft, seinen Vater, der Fabriksarbeiter war und "im politischen Spektrum sehr links stand", der ihm den Zugang zu politischer Literatur eröffnete, sein Studium und seine Leidenschaft für Basketball. Seine Haltungen, Werte, Anliegen und Ideen formten sich über Erzählungen, auch Schnurren zu seiner Laufbahn.

Kanzler von 1986 bis 1997

Er sei - nach Beendigung seiner politischen Karriere - mittlerweile schon "im 16. Jahr des Weggegangen-Seins". Viele der jüngeren Generation kennen ihn nicht mehr, auch Bruno Kreisky nicht mehr, sagt er. Vranitzkys Karriere begann 1961 nach dem Wirtschaftsstudium in den Siemens-Schuckertwerken und kurz danach in der Oesterreichischen Nationalbank. 1970 wurde er wirtschafts- und finanzpolitischer Berater des damaligen Finanzministers Hannes Androsch in der Regierung Kreisky. Ab Mitte der 1970er-Jahre verfolgte er eine Bankerkarriere, bis er 1984 vom damaligen Bundeskanzler Fred Sinowatz als Finanzminister in die Regierung geholt wurde. Von 1986 bis 1997 war Vranitzky österreichischer Bundeskanzler und von 1988 bis 1997 Bundesparteivorsitzender der SPÖ.

In der Zeit als aktiver Politiker wurde er oft als "Nadelstreifsozialist" bezeichnet. Es war nicht die Zeit für "politische Romantik", kommentiert er heute. "Ich habe in einer Zeit Politik zu betreiben gehabt", sagt er, "wo die Erinnerung an Kreisky noch sehr wach war. Ich wollte und ich konnte aber nicht der Kreisky sein."

Schlüsseljahr 1986

1986, das Jahr, in dem er zum Bundeskanzler gewählt wurde, war, so sagt er, "ein Schlüsseljahr für die österreichische Zeitgeschichte - und nicht positiv". Unter anderem spricht er "Noricum" (die Voest-Tochter lieferte Waffen an die kriegsführenden Staaten Irak und Iran, Anm.) und "Lucona" (die Sprengung des Frachters als versuchter Versicherungsbetrug mit sechs Todesfällen wird zum politischen Skandal, Anm.) an. Und Vranitzky musste sich außenpolitisch der Diskussion über die Kriegsvergangenheit des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim stellen. Sein Rückzug aus der Politik wurde als eher überraschend aufgenommen. Er wollte, sagt er heute, nicht mehr für die nächste Nationalratswahl - es wäre die fünfte - kandidieren.

Auf die Frage, was von der Sozialdemokratie im 21. Jh. übrigbleibe, sagt Vranitzky: Im Wandel der Zeiten treten immer Themen auf, in denen Menschen, ohne selbst dazu beigetragen zu haben, im Nachteil sind. Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen - Armut, Bildung etc. - nicht an einem zivilen Leben teilhaben können. Dort muss Solidarität und Demokratie gestärkt werden. Das sind sozialdemokratische Themen.

Vranitzky ist seit 1962 Mitglied der SPÖ und genauso lange mit seiner Frau Christine verheiratet. "Weder aus der Ehe noch aus der SPÖ tritt man aus", sagt er. Warum? Vranitzky: "Weil beides recht angenehm ist." Und was er von seiner Laufbahn gelernt habe? "Zurückhaltung bei vorschnellen, unüberlegten Antworten auf Dinge, die man nicht gut genug kennt und für die man nicht genug Zeit und Mühe aufgewendet hat, darüber nachzudenken." (haa, DER STANDARD, 21./22.4.2012)