Im Labor des FBI gab es schwere Fehler.

Foto: Christian Fischer

Dass seine Eltern starben, bevor seine Unschuld erwiesen war, das sei vielleicht das Schlimmste, sagt Santae Tribble. 28 Jahre hat der Afroamerikaner aus Washington hinter Gittern gesessen, weil sich ein schlampig arbeitender Forensiker irrte. Jetzt geht er an die Öffentlichkeit. Sein Haar ist grau, seine Stimme leise.

Auf dem Video des National Whistleblowers Center, das sich auf das Aufdecken von Behördenfehlern spezialisiert, spricht ein Mann, den die Zeit im Gefängnis übervorsichtig, ja scheu werden ließ. "Anfangs habe ich zwei Jahre auf meinen Prozess gewartet, und ich dachte, das sei Strafe genug", blendet Tribble zurück. "Sie müssen mich freisprechen, glaubte ich. Es gab ja nichts, was mir zur Last gelegt werden konnte. Bis auf das Haar, das Haar eines anderen."

Eines von 13 Haaren am Tatort

1978, nach dem Mord an einem Taxifahrer im verarmten, vornehmlich von Schwarzen bewohnten Südosten Washingtons, war er verhaftet worden. Eines von 13 Haaren auf einer beim Tatort gefundenen Strumpfmaske wurde ihm zugeordnet. Es gab zwar Zeugen, die schworen, dass der Teenager die Nacht in der Wohnung seiner Mutter verbracht hatte, doch das Haar genügte für einen Schuldspruch. Spezialisten hatten es in einem Labor der Bundespolizei FBI unter die Lupe genommen, und beim Prozess hieß es großspurig: "Die Chancen liegen bei eins zu zehn Millionen, dass es das Haar eines anderen sein könnte."

2003 kam Tribble frei. 2009 las er einen Zeitungsartikel, der den Fall eines unschuldig Verurteilten schilderte, eines vermeintlichen Mörders, den eine falsche Haarprobe hinter Gitter gebracht hatte. Noch einmal kam " sein" Haar ins Labor, wo eine Genanalyse bestätigte, dass es Tribble keineswegs zugeordnet werden konnte. Seine Unschuld ist seit drei Monaten amtlich. Vergangene Woche hat das Whistleblowers Center den Fall exemplarisch an die große Glocke gehängt.

Hinrichtung trotz fragwürdiger Proben

Es ist nur einer von vielen ähnlichen Irrtümern, die das amerikanische Justizministerium über Jahre totschwieg. Bereits 1996 waren Zweifel an der Zuverlässigkeit der forensischen Arbeit des FBI aufgetaucht. 6000 Fälle ließ das Ministerium seither neu aufrollen. Ergebnis: Mindestens 250 Angeklagte sind wegen fragwürdiger Haut- und Haarproben für schuldig befunden worden. Einer davon, Benjamin Herbert Boyleaus aus Texas, wurde dennoch hingerichtet. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 21./22.4.2012)