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Wien/Lissabon - Ein heißes Eisen in der Betreuung von Drogenkranken mit problematischem Opiatkonsum: eine Substitutionstherapie mit Heroin. Die heikle Frage hat jetzt die EU-Drogenbeobachtungsstelle (EBDD) in Lissabon in einem Expertenbericht analysiert, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Fazit: "Die mittlerweile vorliegenden Ergebnisse internationaler Studien weisen darauf hin, dass der überwachte Konsum von 'medizinischem Heroin' eine wirksame Therapie zweiter Wahl" für eine kleine Gruppe von Abhängigen sein dürfte.

"Die Verschreibung von Substitutionsmitteln (z. B. Methadon oder Buprenorphin, in Österreich auch lang wirksame Morphine zum Schlucken) hat sich zu einer Standardtherapie erster Wahl bei Opioidabhängigkeit entwickelt, wobei rund 700.000 der 1,3 Millionen problematischen Opioidkonsumenten in Europa heute eine Substitutionsbehandlung erhalten", heißt es in dem mehr als 170 Seiten umfassenden Bericht bzw. in der dazu gehörigen Pressemeldung.

In Österreich befanden sich im Jahr 2010 bereits 14.962 Abhängige in Substitutionsbehandlung, im Jahr 2001 waren es 4.604 gewesen. Man nimmt an, dass in Wien bereits mehr als die Hälfte der in Frage kommenden Patienten diese Behandlung erhalten. Die Verschreibung von Drogensubstitutionsmedikamenten ist in Österreich streng geregelt. Die behandelnden Ärzte benötigen eine entsprechende Ausbildung. Die Abhängigen erhalten prinzipiell die verordnete Tagesdosis in einer Apotheke. Es gibt darüber hinaus klare Mitgaberegelungen für die Patienten. Die Substitutionsbehandlung bringt die Drogenabhängigen weg vom illegalen Markt, verhindert die gesundheitlichen Risiken und stabilisiert auch die soziale Situation der Betroffenen.

Heroin als Medizin

Nicht immer ist das Angebot aber erfolgreich. Die EBDD: "Doch eine kleine Minderheit der Langzeit- Opioidkonsumenten spricht wiederholt nicht auf Behandlungen dieser Art an." Deshalb wurden immer wieder Möglichkeiten erprobt, Heroinabhängigen "medizinisch" dieses Suchtmittel zum Injizieren zur Verfügung zu stellen bzw. eine überwachte Anwendung zu ermöglichen. Das führte aber - von ersten Versuchen in der Schweiz in den 1990er-Jahren (Zürich) an - oft zu heftigen politischen Kontroversen.

"Die neue heroingestützte Behandlung ist ein Thema, das sehr viel Aufmerksamkeit erregt, aber auch Kontroversen und häufig auch Verwirrung ausgelöst hat", erklärte der Direktor der EBDD, Wolfgang Götz. Man habe daher die bisherigen Erfahrungen im Rahmen von wissenschaftlichen Studien etc. erstmals umfassend analysiert.

Unter ärztlicher Aufsicht

An sich gab es Behandlungsversuche von Drogenkranken mit Heroin schon vor Jahrzehnten. Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle (EBDD): "Das neue Konzept war ein Schritt nach vorn, weg von der Verschreibung von Heroin an Drogenabhängige ohne Aufsicht, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und während des 20. Jahrhunderts in ganz Großbritannien praktiziert wurde."

Dann folgten die Behandlungsansätze mit "medizinischem Heroin". Die EU-Experten: "In den letzten 15 Jahren haben sechs Länder in und außerhalb Europas diesen neuen klinischen Ansatz erprobt und getestet. Infolgedessen steht die Behandlung mit überwachter Heroininjektion jetzt langjährigen, chronischen Opioidkonsumenten in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, in Großbritannien und der Schweiz zur Verfügung, während sie in Spanien und Kanada nur im Rahmen von klinischen Studien zulässig ist. 2011 waren rund 2.500 Klienten in der EU und der Schweiz in dieser Form von Behandlung.

Die überwachte Gabe von injizierbarem Heroin erfolgt bei diesen Programmen jeweils unter direkter ärztlicher Aufsicht, um Sicherheit zu gewährleisten und die Abzweigung von Diacetylmorphin ("medizinisches Heroin") auf den illegalen Markt zu verhindern. Sie findet in Spezialkliniken statt, die das ganze Jahr über geöffnet sind.

Heroin versus Methadon

Dem Bericht zufolge liefern die seit Mitte der 1990er Jahre durchgeführten Forschungsstudien "deutliche Beweise" dafür, dass die Behandlung mit überwachter Heroininjektion für diese spezifische Gruppe von langjährigen Heroinkonsumenten wirksamer sein kann als die orale Methadonsubstitution. Die Experten: "Über die vergangenen 15 Jahre hinweg zeigten wissenschaftliche Studien mit mehr als 1.500 Patienten starke Hinweise für eine Effektivität einer solchen Behandlung per überwachter Selbstinjektion von Heroin im Vergleich zur oralen Methadon-Substitutionstherpaie bei Langzeit-Heroinabhängigen, die auf keine andere Therapie ansprachen. Dies sei sowohl bei ganzen Gruppen solcher Personen als auch auf individueller Basis beobachtet worden.

Die EBDD weiter: "Die Ergebnisse zeigen, dass die Behandlung mit überwachter Heroininjektion zu einer wesentlich verbesserten Gesundheit und einem besseren Wohlbefinden dieser Gruppe, einer starken Reduzierung ihres fortgesetzten Konsums von illegalem Straßenheroin, einem verstärkten Ausstieg aus kriminellen Aktivitäten wie der Beschaffungskriminalität zur Finanzierung ihres Drogenkonsums und zu einer deutlichen Verbesserungen des sozialen Funktionsniveaus (z. B. solide Wohnverhältnisse, höhere Beschäftigungsquote) führen kann." Es hätte sich auch eine hohe Therapietreue der Patienten gezeigt. So wären in Studien nach sechs Jahren noch 40 Prozent der Behandelten dabei gewesen.

Hohe Kosten

Allerdings seien für solche Programme intensive Vorbereitungen und eine gute Organisation notwendig. So muss es für die Patienten täglich die Möglichkeit geben, sich das "medizinische Heroin" unter Kontrolle zu injizieren. Im Vergleich zur herkömmlichen Substitutionstherapie wurden die Kosten in Deutschland auf das Fünffache geschätzt. Bei potenziell jederzeit lebensgefährlicher Opiatabhängigkeit sollte aber wohl die Kostendiskussion im Hintergrund bleiben. Drogenexperten weisen ständig und unisono darauf hin, dass Suchterkrankungen medizinische Krankheiten und keinesfalls "Charakterschwäche" darstellen. Die Therapie sei ähnlich wirksam wie viele andere medizinische Eingriffe. (APA, 19.4.2012)