Rom - Nach der Verabschiedung des umstrittenen Immunitätsgesetzes in Italien, das Ministerpräsident Silvio Berlusconi vor einer drohenden Verurteilung schützt, erwägen Staatsanwälte den Gang vor das Verfassungsgericht. Die Anklagebehörde im Mailänder Korruptionsverfahren gegen Berlusconi hält die Neuregelung für verfassungswidrig. Nach dem Gesetz muss der seit drei Jahren laufende Prozess ausgesetzt werden. Es untersagt die juristische Verfolgung von Politikern, so lange sie höchste Staatsämter innehaben.

Opposition tobt

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi wolle das Gesetz trotz möglicher Bedenken bald unterschreiben, verlautete am Donnerstag in Rom. "Dieses ist die größte Ungeheuerlichkeit, die die Regierungsmehrheit geschaffen hat", kommentierte der führende Oppositionspolitiker Luciano Violante das Gesetz. Es solle die drohende Verurteilung Berlusconis wegen Richterbestechung verhindern. Die Opposition empört sich vor allem darüber, dass das Gesetz auch für laufende Verfahren gilt. Dagegen bezeichnete es ein Sprecher des Regierungslagers als einen "Sieg Berlusconis".

Das Regierungslager brachte das Gesetz am Mittwochabend mit breiter Mehrheit durchs Parlament. 302 Abgeordnete stimmten dafür, 17 dagegen und 13 enthielten sich. Die wichtigsten Oppositionsparteien verließen bei der Abstimmung demonstrativ den Sitzungssaal. In mehreren italienischen Städten gab es Demonstrationen. Laut Umfragen lehnen fast zwei Drittel der Italiener das Gesetz ab.

"Wilder Westen"

"Berlusconi und seine Leute wollen Italien in einen Wilden Westen umwandeln. Sie denken, dass sie das Justizsystem diskreditieren können, weil sie die Mehrheit im Parlament haben", wetterte Oppositionschef Francesco Rutelli. "Berlusconi benimmt sich wie ein Volkstribun, der die Gesetze zu seinem eigenen Nutzen verabschiedet." Die Opposition forderte Staatschef Ciampi auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.

Verurteilung soll EU-Präsidentschaft nicht überschatten

Kommentatoren in Rom sind der Meinung, Berlusconi wolle mit dem neuen Gesetz vor allem verhindern, dass die im Juli beginnende EU-Präsidentschaft Italiens durch seine Verurteilung überschattet wird. Selbst ein Plädoyer der Staatsanwaltschaft mit einer Forderung nach Haftstrafe wäre peinlich für den Ministerpräsidenten und schädlich für das Ansehen Italiens.

Der Senat hatte dem Immunitätsgesetz bereits zugestimmt. Es dürfte sofort nach der Unterschrift Ciampis gültig werden. Möglicherweise muss bereits die Mitte nächster Woche geplante Gerichtssitzung ausfallen, bei der Berlusconi eigentlich aussagen soll. Formell kann das Verfahren laut dem neuen Gesetz zwar nach dem Ende Amtszeit Berlusconis - er ist bis 2006 gewählt - fortgesetzt werden. Da in der betreffenden Mailänder Strafkammer aber 2004 ein Richter in Pension geht, muss der Prozess neu aufgerollt werden. Damit droht die Angelegenheit zu verjähren.

Die Neuregelung untersagt die juristische Verfolgung von Politikern in den fünf höchsten Staatsämtern. Betroffen sind der Staatspräsident, der Regierungschef, die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern und der Präsident des Verfassungsgerichts.

"Schmiergeld-Republik"

Italien hatte die Immunität für Parlamentarier 1993 nach einer Serie von Korruptionsskandalen abgeschafft. Damals ermittelten Staatsanwälte des Mailänder Richterpools "Mani pulite" (Saubere Hände) gegen viele Politiker und brachten damit die italienische "Schmiergeld-Republik" (Tangentopoli) zu Fall. In dem Berlusconi-Prozess geht es um Richterbestechung bei einem Rechtsstreit Anfang der 90er Jahre im Zuge eines Übernahmekampfes des SME-Lebensmittelskonzerns zwischen dem Unternehmer Berlusconi und seinem Unternehmer-Rivalen Carlo de Benedetti. Berlusconi war damals noch nicht in der Politik, hatte allerdings im Sozialisten Bettino Craxi einen mächtigen Förderer.

Berlusconi selbst wirft "roten Richtern" und linken Staatsanwälten vor, sie wollten seine Mitte-Rechts-Regierung stürzen. Gegen Berlusconi liefen in den vergangenen Jahren zeitweise ein halbes Dutzend Verfahren. Zwei Mal gab es in erster Instanz Gefängnisstrafen. Er musste aber nicht in Haft, weil in Italien dazu ein Urteil in dritter Instanz notwendig ist. Später verjährten einige Verfahren, andere wurden niedergeschlagen oder endeten mit Freispruch. (APA/dpa)