Die Wiener Filmemacherin Doris Kittler hat Schülerinnen und Schüler über mehrere Jahre begleitet.

Foto: Doris Kittler

Wien – Die Schulglocke läutet, gehetztes Keuchen ist zu hören. Das kennt man noch, von früher. Doch dann kommt alles so ganz anders, als es von einem Film über Schule in Österreich erwartet wird.

Von einer öffentlichen Volksschule um genau zu sein. Da hängt die Österreich-Karte nicht wie andernorts an der Wand, da wird sie abgegangen und mit bloßen Füßen erkundet. Da sitzen Schülerinnen auf den Sofa und lesen einander vor, da wird am Gang gezeichnet und gebaut. Und keiner verunmöglicht das mit einem Verweis auf die Brandschutzbestimmung.

Apropos: Auch eine Küche gibt es in der Mehrstufen-Integrationsklasse der Volksschule Brioschiweg im 22. Wiener Gemeindebezirk. Schließlich wollen die Kinder ja all die Zutaten, die sie ein paar Einstellungen zuvor im Dokumentarfilm von Doris Kittler am Naschmarkt eingekauft haben, selbst weiterverarbeiten.

Voneinander lernen

Kittler ermöglicht Interessierten mit 1+1=100 oder Die Schule des Lebens Einblick in ein etwas anderes Klassenzimmer. Und was zu sehen ist, mag mancher nicht für möglich halten: Da lernt jeder von jedem und immer anders. Wobei: "Wenn die Ilsa sagt, ich soll rechnen, dann muss ich auch rechnen", relativiert eine Schülerin das Bild der völligen Beliebigkeit.

Über Jahre hat die Wiener Filmemacherin die Kinder vom Brioschiweg begleitet, ohne dabei ein Störfaktor zu sein. Sie war beim wöchentlichen Klassenforum dabei, wo die Kinder alles von Armut bis zur Hundekacke diskutierten. Und Kittler konnte auch jenen Prozess des Erfahrungslernens begleiten, an dessen Ende die Gemeinschaft nach zwei Wochen akribischen Zählens herausfand, dass eine Reispackung 40.000 Körner enthält.

Was sie vor lauter Involvierung zeitweise etwas vernachlässigt, ist ein Erklären des großen Ganzen. Zwar kommen die Lehrerinnen selbst zu Wort, wissenschaftlich untermauern können sie ihre Herangehensweise aber kaum. Da könnte beim kritischen Betrachter mit klassisch österreichischer Schulkarriere auch der Eindruck entstehen, die lernen ja nichts Richtiges dort. (Karin Riss, DER STANDARD, 19.4.2012)