Wien - NGO-Vertreter haben sich am Mittwoch besorgt über die Lage von tschetschenischen Asylsuchenden gezeigt, die in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Es werde für Tschetschenen immer schwieriger, Asyl in Österreich zu bekommen, kritisierte die Anwältin und Vorsitzende von SOS Mitmensch, Nadja Lorenz, bei einer Pressekonferenz. Die Praxis sei deutlich restriktiver geworden, hieß es. Die positiven Bescheide seien von 60 Prozent im Jahr 2006 auf 20 Prozent im vergangenen Jahr gesunken. Wer Menschen nach Tschetschenien zurückschicke, bringe sie aber nach wie vor in Lebensgefahr, sagte Heinz Patzelt von Amnesty International (AI), darüber dürfe eine verbesserte Infrastruktur nicht hinwegtäuschen.
"Es herrscht Friedhofsruhe"
Tschetschenien werde zwar zu Recht als "Aufbruchsland" hingestellt, dies gelte aber nur für die Wirtschaft. "In Tschetschenien herrscht Friedhofsruhe", so Patzelt, nach wie vor würden Leute verschwinden, es gebe Folter, und das Regime habe kein Interesse daran, nach der Wahrheit zu suchen. Es herrsche ein "Klima der Rechtlosigkeit und Straflosigkeit", sagte Lorenz. Die Verfolgung von Rechtsverletzungen sei "gleich null." Wer auch nur im Verdacht stehe, gegen Präsident Ramsan Kadyrow zu sein, lebe in Gefahr, so Patzelt.
Behörden gehen von Missbrauch aus
In Österreich werden Asylanträge zum einen vom Bundesasylamt, zum anderen vom Asylgerichtshof als Zweitinstanz entschieden. Geglaubt werde den Betroffenen grundsätzlich nichts, behauptete die Journalistin Susanne Scholl. Die Behörden gingen davon aus, dass sich die Situation in Tschetschenien verbessert habe und dass viele Asylanträge missbräuchlich gestellt werden, meinte auch Lorenz. Die Betroffenen werden oft für "nicht glaubwürdig" gehalten. Es gehe dabei meistens um widersprüchliche Schilderungen der Ereignisse. "Von Leuten, die so traumatisiert sind, kann man nicht erwarten, dass sie alles chronologisch korrekt erzählen", betonte Scholl.
Schwierige Rückkehr
Wenn Asylwerber nach Tschetschenien zurückkehren müssen, stehen sie vor zwei weiteren Problemen, gab Hans-Georg Heinrich, Vize-Präsident vom ICEUR-Institut "International Center for Advanced and Comparative EU-Russia/NIS Research) zu bedenken. Zum einen seien alle verdächtig, die im Ausland waren, zum anderen halte sich in der Russischen Föderation immer noch "hartnäckig" der Glaube, dass der Westen golden sei. Wer zurückkehre, stehe daher unter dem Generalverdacht, Geld zu haben, und sei leichtes Opfer von Erpressungen. Auch die Möglichkeit, in andere Regionen der Russischen Föderation zurückzukehren, sei für viele keine Alternative. Als Tschetschene sei man in ganz Russland Repressionen ausgesetzt, so Heinrich. (APA, 18.4.2012)