Grafik: STANDARD/Kastner et al.

Immer größere Flächen werden für Essen benötigt – vor allem aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten.

Der Welt geht es besser als noch vor 50 Jahren. Insgesamt gibt es mehr zu essen: Verzehrte der durchschnittliche Erdenbürger im Jahr 1961 täglich 2250 Kalorien, standen 2007 im Schnitt 2750 Kalorien pro Kopf und Tag zur Verfügung (inklusive weggeworfener Lebensmittel wohlgemerkt), wie die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) berechnete.

Stück für Stück wurde der Erde dafür immer mehr Land abgerungen: Weltweit wurde 2005 30 Prozent mehr Ackerland benötigt als noch im Jahr 1963 – obwohl die Weltbevölkerung weniger rasant wächst und neue Technologien die Erträge gesteigert haben. Die Frage liegt auf der Hand: Wie lange wird es genug Land geben, um die Menschheit zu ernähren?

"Wenn man davon ausgeht, dass sich die Weltbevölkerung um 2050 bei neun bis zehn Milliarden Menschen einpendelt, sich alle nach westlichen Standards ernähren und alle Flächen so effizient bearbeitet werden wie in Nordamerika, müssten die Nutzflächen verdoppelt werden", sagt Thomas Kastner vom Wiener Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universität. "Diese Flächen gibt es nicht – beziehungsweise würde ihre Nutzbarmachung massive Umweltschäden zur Folge haben."

Kastner ist gemeinsam mit Kollegen von der Universität Groningen der Frage nachgegangen, wie sich der menschliche Hunger nach Land entwickelt und welche Rolle dabei der Ernährungsstil spielt – weltweit und über einen Zeitraum von 46 Jahren. Die Studie wurde soeben im renommierten US-Fachjournal Proceedings of the National Acadamy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. Kastner und sein Team ackerten sich durch FAO-Statistiken für die Jahre 1961 bis 2007, um die Veränderungen bei Produktion und Konsum von Nahrung, aufgeteilt auf 17 Regionen, sichtbar zu machen (siehe Grafik).

"Insgesamt ging der Konsum von Getreide und von Knollenfrüchten wie Kartoffeln und Maniok zurück, gleichzeitig werden mehr pflanzliche Öle, mehr Kaffee, mehr Obst und Gemüse sowie mehr Fleisch konsumiert – was besonders ressourcenintensiv ist", sagt Kastner. "Diese Entwicklung ist in fast allen Regionen zu beobachten." Tierische Produkte machen den Löwenanteil des erhöhten Landbedarfs aus: Fleisch war für die Hälfte des Anstiegs im untersuchten Zeitraum verantwortlich.

Drastischer Wandel in China

Während sich in reichen Regionen wie Europa und Nordamerika die Nahrungszusammensetzung nur moderat veränderte, gab es in anderen Teilen drastische Umwälzungen, allen voran in Ostasien, das durch die rasante Entwicklung Chinas getrieben ist. So stieg hier der Konsum von tierischen Kalorien pro Person seit Anfang der 1960er-Jahre um das Fünffache, dementsprechend heftig fiel auch die Steigerung des Landbedarfs für Ernährung aus. Auch in den Schwellenländern Brasilien und Indien wirkt sich der Trend zu Fleisch stark aus.

In den armen Regionen südlich der Sahara hingegen blieb die Rate der verfügbaren Kalorien auf einem ohnehin äußerst niedrigen Niveau. Der Speiseplan setzt sich – wie auch in anderen Entwicklungsländern – zu einem Großteil aus pflanzlicher Nahrung, vor allem Getreide, zusammen. Hier ist die Steigerung der Nutzflächen hauptsächlich auf das vergleichsweise schnelle Bevölkerungswachstum in der Region zurückzuführen, wie Kastner erläutert.

Obwohl der globale Landbedarf für Ernährung anstieg, verringerte sich der Pro-Kopf-Bedarf um ein Drittel, und zwar vor allem durch effizientere Bewirtschaftung der Flächen – wobei es auch heute noch große Unterschiede gibt. 2005 wurden in Südostasien 1300 Quadratmeter Land benötigt, um eine Person ein ganzes Jahr zu ernähren, während es in den trockenen Regionen Ozeanien und Südeuropa 3000 Quadratmeter waren.

Erstaunlicherweise liegen Westeuropa und der afrikanische Kontinent mit rund 2000 Quadratmetern "Verbrauch" pro Person und Jahr gleichauf. Das liegt daran, dass in Europa, wo weit mehr Nahrung zur Verfügung steht, die Hightech-Landwirtschaft ein Vielfaches an Erträgen abwirft, erklären die Studienautoren.

Und doch: Der technologische Fortschritt und das eingebremste Bevölkerungswachstum können den hohen Landbedarf durch veränderte Ernährungsgewohnheiten langfristig nicht wettmachen, wie die Ökologen rund um Kastner berechneten. Die Angleichung an westliche Standards hat in Ostasien schon jetzt mehr Auswirkungen auf den Landbedarf als das Bevölkerungswachstum und hat die Einsparungen an Ackerflächen durch höhere Erträge bereits "stark überkompensiert", berichtet Kastner. "Der Technikfaktor nimmt generell immer weiter ab."

Verteilungsungerechtigkeit

Die Studie deutet auch auf Verteilungsungerechtigkeiten und internationale Abhängigkeiten hin: Der Westen beansprucht immerhin sieben Prozent des Ackerlands für Kaffee, Tee und Kakao, die praktisch keine Kalorien haben – und in anderen Regionen angebaut werden. Auch bei den Ernährungsgewohnheiten gibt es noch große Unterschiede: Während sich in Europa und Nordamerika 75 bis 80 Prozent des Landbedarfs allein aus Fleisch, Alkohol, Kaffee, Tee, Kakao und pflanzlichen Ölen speisen, werden dafür in den ärmsten Regionen gerade 25 Prozent des Landes benötigt.

"Auch wenn die Entwicklung weltweit verschieden schnell vonstatten geht, folgen letztlich alle dem westlichen Muster", sagt Kastner. Noch lebt der größte Teil der Menschheit in Entwicklungsländern – künftige Konflikte um Land scheinen unumgänglich. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 18.4.2012)