Pastoraltheologe Paul Zulehner sieht nicht einen "Konflikt Schüller gegenüber Schönborn, sondern Schönborn gegenüber dem Papst".

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David Berger hat für sich die Konsequenzen gezogen und ist aus der "Kirchensteuergemeinschaft" ausgetreten.

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Die Entscheidung von Kardinal Christoph Schönborn, die Wahl eines homosexuellen Gemeinderats in Niederösterreich zu bestätigen, hat zu einer neuen Debatte über die Sexualmoral der römisch-katholischen Kirche geführt. Während die offizielle Kirche sich zu keinem klaren fortschrittlichen Standpunkt in der Frage der Homosexualität durchringen kann, wird auf Fundamentalisten-Treffpunkten wie kreuz.net selbst die Einzelentscheidung Schönborns diffamiert.

Die Pfarrerinitiative um Helmut Schüller stößt währenddessen mit ihren Forderungen, dass Frauen Priester werden dürfen und Priester heiraten dürfen, in Rom weiterhin auf taube Ohren. derStandard.at hat deshalb zwei Theologen zum aktuellen Zustand der Kirche befragt. Paul Zulehner und David Berger sprechen über die Verflechtungen des Vatikans mit kreuz.net, die Dominanz Ultrakonservativer und über Homosexualität in der Kirche. Die beiden wurden getrennt voneinander befragt.

derStandard.at: Haben sich die Gruppen, die Plattformen wie kreuz.net nutzen, in den letzten Jahren noch weiter radikalisiert?

Berger: Ja, das ist meine feste Überzeugung. Ich beobachte diese Szene seit gut zehn Jahren, auch aus der Innensicht. Bei kath.net habe ich am Anfang mitgearbeitet und am eigenen Leib die Radikalisierung dieser Gruppen miterlebt. Das kam nicht zuletzt durch eine Rückkoppelung: Sie haben von Rom spätestens seit 2005 immer wieder das Signal bekommen, das ist uns recht, was ihr macht. Gerade kath.net hat mehrmals von Benedikt eine ausdrückliche Belobigung bekommen. Und ich habe es in Rom immer wieder erlebt, dass man die Arbeit von kreuz.net sehr gern gesehen hat.

Ein deutscher Bischof hat mir vor einigen Monaten gesagt: "Das Problem ist, wenn wir heute auf kreuz.net kritisiert werden, dass wir morgen einen Anruf aus dem Staatssekretariat des Vatikans bekommen und gefragt werden, was macht ihr denn da?" Ich schätze, jetzt setzt man wieder auf diese Karte. Wir machen so lange Stunk übers Internet, bis etwas von Rom kommt.

derStandard.at: Glauben Sie, wird das Schönborn im aktuellen Fall auch passieren?

Berger: Ich befürchte, dass er Order bekommt, es bei dem Einzelfall zu belassen. Das wird man so nicht stehen lassen, weil eben diese konservativen, reaktionären Kreise Stimmung gemacht haben. Es wird auch nicht lange dauern, bis das wieder bekannt wird. Bis kreuz.net die Information hat, dass Schönborn von Rom zurückgepfiffen worden ist. Denn das ist ja auch bekannt, dass diese Internetseiten an Informationen kommen, die eigentlich intern sind. 

derstandard.at: Da sie selbst mitgearbeitet haben, welche Leute stecken hinter diesen Portalen?

Berger: Von kreuz.net habe ich mich von Anfang an klar distanziert, da habe ich nie mitgearbeitet. Das hat sich dann auch entsprechend tragisch entwickelt. Nicht nur Homophobie, sondern auch Antisemitismus und anderer Blödsinn feiert da fröhliche Urständ. Das eigentlich Schockierende ist aber, dass kath.net auch aus Kirchensteuergeldern und mit Geldern des kirchlichen Hilfswerks "Kirche in Not" finanziert wird.

derStandard.at: Herr Zulehner, wie charakterisieren Sie die Leute, die hinter kreuz.net und kath.net stehen?

Achtung: Die Antwort auf diese Frage ist ein redaktionelle Richtigstellung* - Begründung siehe Text unten.

Zulehner: Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Seite von kreuz.net als „teilweise antisemitisch und muslimfeindlich" eingestuft. Dieses Internetportal sei „eine Beleidigung für jeden gläubigen Katholiken", so der Mandatar des Deutschen Bundestages Beck (Kathpress vom 3.4.2012). Gruppen, die hinter kreuz.net stehen sind politisch und kirchlich rechts angesiedelt. Nach allen Untersuchungen über diesen Pol der Kirche und der Gesellschaft sind diese Personen mit dem Persönlichkeitsmerkmal „Autoritarismus" („Unterwerfungsbereitschaft" im Sinn von Th. W. Adorno) hoch ausgestattet. Sie setzen auf rigide Moral. Nach außen zeigt er sich durch verbale Gewalttätigkeit. Die Scheiterhaufen werden heute freilich nicht mehr real, sondern medial errichtet, und zwar durch eine hochaggressive Sprache. Sie haben ein mit Freiheit nicht kompatibles Verständnis von Gehorsam. Kathnet und andere eher evangelikal-konservative Seiten wie in Deutschland idea, das mit kath.net kooperiert, sind moderater, agieren innerkirchlicher. Antisemitismus, Antiislamismus und Fremdenfeindlichkeit werden hingegen von kath.net nicht befürwortet.

derStandard.at: Landen solche Leute besonders oft bei der Kirche?

Zulehner: Die sind überall, die sind ja manchmal auch zugleich in der FPÖ und zugleich bei kath.net. Es gibt keinen inneren kirchlichen Grund, sondern diese Leute nehmen sich aus der Religion das, was ihnen entspricht. Und das sind Moral und Ordnung.

derstandard.at: Wen würden Sie in Österreich als die maßgebenden konservativen Kräfte innerhalb der Kirche ausmachen?

Zulehner: Doch kath.net und kreuz.net. Früher war das auch ein Teil im ganz rechten Flügel der ÖVP, aber der hat sich mehr oder minder aufgelöst. Aber der alte Adel ist relativ stark. Es gibt natürlich Leute in der Kirche, die urkonservativ sind. Das gibt es in allen Religionen. Aber ich glaube, es ist kein Sondergut der Religionen. 

derstandard.at: Diese Leute werden aber doch von Rom in ihrer Haltung bestätigt?

Zulehner: Die kriegen durchaus ein günstiges Klima. Für die, die Pluralität wünschen, die auf Gewissen und Freiheit setzen, wird es zunehmend eng in der Kirche. Man muss natürlich schon sagen, dass Kardinal Schönborn in der Frage der Homosexualität eben nicht diese Spur verfolgt. Ich glaube, dass er bei sehr vielen Menschen Hoffnung geweckt hat, dass es mit gewissenhafter Verantwortung und Freiheit in der Kirche doch noch nicht zu Ende ist.

Berger: Wenn man sich anschaut wie einflussreich solche Gruppen unter Papst Benedikt geworden sind, die Pius-Bruderschaft, kreuz.net, kath.net, aber auch die ganz vielen anderen kleinen, die im Hintergrund agieren, dann merkt man, die sind unheimlich im Aufwind. Gerade die jüngeren Geistlichen sind zu 80 Prozent auf der konservativen Schiene.

Zu sagen, wir warten, die alten Konservativen sterben weg, ist völliger Blödsinn. Denn häufig sind die Kleriker, die noch die vorkonziliare Zeit miterlebt haben und gesehen haben, dass die alte Messe eben nicht das Heilmittel aller Probleme der Welt war, progressiver als die Jungspunde, die in einer völlig säkularen Welt aufgewachsen sind. Und die jetzt in der klerikalen Märchenwelt ein Gegenstück suchen. 

derStandard.at: Welche Erkenntnisse haben Sie durch die Pfarrerstudie über die Haltung innerhalb der Pfarrerschaft gewonnen?

Zulehner: Die Pfarrer sind mehrheitlich freiheitsorientiert. Es ist ja auch interessant, dass 72 Prozent im Klerus die Pfarrer-Initiative unterstützen. Wir haben vor allem unter den immer weniger werdenden jüngeren Priestern eine Zahl, wie auch in der Gesamtgesellschaft, die die lästige Last der Freiheit wieder loswerden will. 

derStandard.at: Das heißt, diese Gruppe findet man jetzt ganz verstärkt in den Priesterseminaren?

Zulehner: Ja, überdurchschnittlich im Vergleich zu früheren Generationen von Priesteramtskandidaten. Weil diejenigen, die liberaler sind, wegbleiben.

derStandard.at: Erreicht die Kirche also heute nur mehr rechte Nachwuchskräfte?

Zulehner: Man erreicht die Leute, die mit einem unterwerfungsbereiten, unfreien Begriff von Gehorsam wenig Probleme haben. Ich glaube, dass es ist nicht nur die Schwäche der Großparteien ÖVP und SPÖ ist, dass FPÖ und BZÖ im Grunde genommen immer stärker werden, sondern das liegt auch an einer kulturellen Entwicklung. Die hohen Zeiten der 68er sind vorbei. Zwischen 1970 und 1995 haben wir einen ständigen Rückgang des Autoritarismus in der Bevölkerung festgestellt, seitdem nehmen die Daten wieder zu.

derstandard.at: Herr Berger, wer geht heute noch ins Priesterseminar?

Berger: Ich sage immer ein bisschen spaßhaft, die sind zu 80 Prozent sehr konservativ und zu 70 Prozent sind sie homophil/homophob. Das ist so das Spektrum, das heute ins Priesterseminar geht. Wenn dann irgendwelche Skandale auffliegen, wie 2004 in St. Pölten, dann merkt man, dass da durchaus was dran ist. St. Pölten ist geradezu ein Schlüsselerlebnis, um zu sehen, wie paart sich extremer Konservativismus - denn das waren Regens Küchl, Subregens Rothe und sicher auch Krenn - mit extremer Homophilie in all ihren Schattierungen. 

derStandard.at: Gibt es Priester, die ihre Homosexualität offen ausleben?

Zulehner: Also wir haben dazu eigentlich keine Detailstudien, wir haben nur flächendeckende, anonyme Studien. Wir meinen, wenn es überhaupt Beziehungen im Klerus gibt, dann eher homosexuelle denn heterosexuelle. Da scheint es einen leichten Überhang zu geben. Aber sonst sind wir nicht in der Lage, seriös Zahlen zu nennen, wer wirklich in einer akuten Beziehung lebt.

Berger: Wir haben eben keine absolut belastbaren soziologischen Studien dazu. Zwei Studien aus den 90er Jahren aus Nordamerika und eine aus den Niederlanden kommen zu dem Ergebnis, dass in den USA und hier in Westeuropa die Zahl der Homosexuellen unter den Geistlichen etwa zwischen 40 und 60 Prozent liegt. Was man sagen kann, ist, dass die Anzahl homosexueller Kleriker in der katholischen Kirche weit über dem Durchschnitt in der Normalbevölkerung liegt. Wie weit, das halte ich dann für müßig, darüber nachzudenken.

derstandard.at: Hat sich der Umgang der Kirche mit Homosexualität gewandelt?

Berger: Solange die Homosexualität illegal war, vom Staat tabuisiert worden ist, war die einzige Möglichkeit für einen homosexuellen Mann, wenn er nicht heiraten wollte und auch nicht als irgendein verschraubter Onkel auf dem Land zum Gespött der Gesellschaft werden wollte, katholischer Priester zu werden. Die Kirche war geradezu ein Schutzraum für diese Leute. Mit der modernen Schwulenbewegung kommt eine Alternative. Ich muss, wenn ich entdecke, dass ich schwul bin, nicht mehr unbedingt ins Kloster gehen.

Das taucht jetzt als Konkurrenz auf, und da reagiert die Kirche geradezu allergisch. Eine Person steht von Anfang an im Mittelpunkt der allergischen Reaktion: Josef Ratzinger. Und als er Papst wird, vermehrt sich das noch. Ich habe für mein neues Buch auch in den "Acta Apostolicae Sedis" recherchiert. Die gesamten letzten Jahre kommt er immer wieder auf dieses Thema zu sprechen. In der Geschichte kenne ich keinen Papst, der so homophob agiert hat wie Benedikt XVI. Und dadurch ermutigt er natürlich diese konservativen Gruppen noch, eins draufzusetzen. 

derStandard.at: Was erwarten Sie von der Pfarrerinitiative?

Berger: Ich hoffe, dass das ein Gegengewicht sein könnte. Denn es passiert endlich einmal was. Und wenn man sich die inhaltlichen Punkte anschaut, sind die überlebenswichtig für die katholische Kirche, wenn sie nicht zur fundamentalistischen Großsekte werden soll. Das muss man ja den österreichischen Bischöfen zugestehen, besonders Schönborn, dass sie versuchen, diesen komplizierten Weg zwischen den Reaktionären und den Liberalen zu gehen. Aber dass von Rom dann gleich mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht wird, ist im Grunde eine Bankrotterklärung. Und ich befürchte, dass sie sich am Ende durchsetzen werden.

derstandard.at: Kann es sich Rom überhaupt noch leisten, mit harten Maßnahmen vorzugehen?

Berger: Denken Sie an die Rede, die Papst Benedikt in Freiburg gehalten hat, wo er von der Entweltlichung der Kirche gesprochen hat. Das heißt, sie wollen lieber eine kleine, elitäre Gruppe, die hundert Prozent hinter dem Papst steht, als eine Volkskirche. Das ist im Grunde das Programm Benedikts. Das findet sich schon sehr früh in seinen Schriften, wir müssen uns gesundschrumpfen, das ist sein Lieblingswort in diesen Schriften. Das heißt, weg mit den liberalen Elementen. Und das ist ja genau der Ton, den kreuz.net und kath.net anschlagen: Werdet doch evangelisch, wir brauchen euch nicht. 

derStandard.at: Herr Zulehner, was ist Ihre Einschätzung, wie geht es mit der Pfarrerinitiative weiter?

Zulehner: Die Pfarrerinitiative lebt ja nicht von dem, was die Pfarrer gerne hätten, sondern letztlich von dem, was in vielen Kirchengemeinden faktisch gelebt wird, wie Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene, dass Laien predigen und solche Fragen. So muss man eigentlich die Frage stellen, ob es gelingen wird, das, was kirchenamtlich gesagt wird, und das, was faktisch getan wird in den Gemeinden, deckungsgleich zu machen oder einander näher zu bringen. Ich glaube, das Problem haben weniger die Pfarrer, sondern die Bischöfe. Weil offensichtlich die Pfarrer mit ihrer Initiative signalisieren, die Reformen laufen, mit oder ohne Bischöfe. Und es wäre fatal, würden die Reformen ohne die Bischöfe laufen.

derStandard.at: Und Sie glauben, das wird in Österreich passieren?

Zulehner: Etwa bei der Frage Ehescheidung und Wiederverheiratete ist das nicht ein Konflikt Schüller gegenüber Schönborn, sondern Schönborn gegenüber dem Papst. (Stefan Hayden, derStandard.at, 18.4.2012)

 

*Redaktionelle Richtigstellung zum Interview:

Paul Zulehner hat seine Antwort zu dieser Frage im Nachhinein präzisiert, weil er sich bei seinen Ausführungen vor allem auf kreuz.net bezog und nicht auf kath.net. Zulehner: "Dieses Interview habe ich abgeändert, da darin undifferenzierte Angaben bezüglicher katholischer Internetportale getätigt wurden. Dieses Interview ist deshalb nunmehr in geänderter Form nachlesbar. Ich erkläre jetzt aber ausdrücklich, dass die Leute, die hinter kath.net stehen (Redaktuere und Mitarbeiter), nicht Leute am Scheiterhaufen verbrennen würden, weder antisemitisch noch antimuslimisch noch fremdenfeindlich sind."

 

Die ursprüngliche Version lautete:

Zulehner: Wir gehen mit Sicherheit davon aus, dass diese Gruppen politisch und kirchlich am rechten Flügel stehen. Nach allen Untersuchungen sind diese Personen mit dem Persönlichkeitsmerkmal Autoritarismus hoch ausgestattet. Sie setzen auf eine sehr rigide Moral. Nach außen zeigt es sich durch verbale Gewalttätigkeit. Wenn sie könnten, würden sie die Leute am Scheiterhaufen verbrennen.

Die Scheiterhaufen werden jetzt aber medial errichtet, und zwar durch eine hochaggressive Sprache. Sie sind völlig intolerant: antisemitisch, antimuslimisch und fremdenfeindlich. Wir meinen, dass eine innere Unsicherheit dieser Personen durch massive Abgrenzung nach außen verdeckt wird. Also zum Beispiel die Angst, dass die Moral kollabiert. Sie wollen nicht, dass den Menschen die Verantwortung zugetraut wird, frei über ihr Leben zu entscheiden. Sie haben ein mit Freiheit nicht kompatibles Verständnis von Gehorsam. Das ist aber überhaupt nicht das Verständnis des Gehorsams, den Priester geloben.