Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung auf dem Kraški Rob ist das Karstdorf Zazid südöstlich von Hrastovlje. Auf schönen und stimmungsvollen Schotter- und Karrenwegen gelangt man, anfänglich in lichtem Wald, dann in offenem Gelände auf die weite Hochebene. Die Orientierung während der 16 Kilometer langen Rundwanderung stellt keine besonderen Anforderungen. Zufahrt: Auf der slowenischen A1 bis zur Autobahnabfahrt "Crni Kal", dann auf der Straße Nr. 208 Richtung Gracisce bzw. Hrastovlje. Nach 2,5 Kilometern zweigt man links ab und folgt den entsprechenden Wegweisern über Loka und Podpec bis Zazid.

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Literatur

Gerhard Pilgram, Wilhelm Berger, Werner Koroschitz: Tiefer gehen. Wandern und Einkehren im Karst und an der Küste. Drava Verlag/Zalozba Drava.

Peter Handke: Abschied des Träumers vom Neunten Land. Eine Wirklichkeit, die vergangen ist: Erinnerung an Slowenien. Suhrkamp Verlag.

Lojze Wieser (Hg.): Europa erlesen: Karst. Wieser Verlag.

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Unterkunft: Zum Beispiel das Hostel Xaxid in Zazid. Die Herberge ist ganzjährig geöffnet und über hostelxaxid.si bzw. Tel.: 00386/5/6392006 erreichbar.

Informationen: unikum.ac.at, Tourismus Slowenien

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Wind. Weite und Wind. Und eine Ahnung von Grün, obwohl das vertrocknete Grasland in bleichem, mattem Gold scheint. Die nahe Küste, die Häfen von Koper und Triest sind nur erahnbar.

Es hat lange nicht geregnet im slowenischen Karst. "Dadurch sammeln sich in den Luftschichten feine Partikel, und die Sonne dringt nur mehr diesig durch", erklärt Emil Kristof, Musiker und Aktivist bei der Klagenfurter Kulturinstitution Unikum. Kristof steht mit seinem Musikerkollegen Stefan Gfrerrer und dem Autor Gerhard Pilgram am Kraški Rob, auf Deutsch "Karstrand", einem Höhenzug, der sich im Südwesten Sloweniens entlang der kroatischen Grenze Richtung Istrien schmiegt.

Der Grenzverlauf ist hier allerdings nur schwer auszumachen. Kein Fluss, kein markanter Gebirgszug, auch keine tiefe Senke lässt den "Unwirklichkeitsstreifen", wie Peter Handke diese Grenze einmal genannt hat, erahnen. Im Gegenteil: Vom Kraški Rob aus betrachet wirkt das Umland - ob slowenisch, kroatisch oder italienisch - grenzenlos. Nichts (außer der erwähnten Wetterlage) trübt die Sicht, in sanften Stufen verliert sich das hohe Karstland, und mit ihm der Blick am fernen Horizont.

Wobei ein unbedachter Grenzübertritt in dieser scheinbar menschenleeren Gegend unangenehme Folgen haben kann: Von seiner Neugier angetrieben, wurde Gerhard Pilgram beim Verlassen des "(Schengen-)Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" in Gewahrsam genommen, und nur durch eine Reihe glücklicher Zufälle vor einer Nacht in einem kroatischen Gemeindekotter bewahrt.

Schneereste in den Dolinen

Das slowenische Zazid ist Ausgangspunkt der Wanderung auf den Kraški Rob, die fünf gemütliche Gehstunden für sich in Anspruch nimmt. In Zazid hat Mitte März bereits die Mandelblüte eingesetzt, und während am Kraški Rob der Wind noch an den letzten Schneefeldern leckt, die sich in die zahlreichen Dolinen (slowenisch: vrtače) zurückgezogen haben, macht sich talwärts alles für den nahen Frühlingsausbruch bereit.

Zazid, in historischen Quellen auch Villa dei sassi, Dorf der Steine genannt, ist ein kleines, verwinkeltes, für den Karst typisches Dorf, das seinen - ansatzweise schon istrischen - Charakter erstaunlich gut bewahrt hat. Von Weinlauben oder Feigenbäumen belebte Innenhöfe und stattliche Eingangsportale, die großteils aus imposanten Stein- oder Marmorblöcken errichtet wurden, prägen das Ortsbild.

Laut Dusan Bitenc, dem Wirt des zentral im Ort gelegenen, unkaprizös-charmanten Hostels "Xaxid" - der alte slawische Ortsnamen - leben derzeit an die 80 Personen im Dorf. Die seit Ende des Ersten Weltkriegs andauernde Abwanderung scheint fürs Erste gestoppt zu sein, auch Junge kehren wieder zurück, um sich auf dem Land ein Stück weit selbst versorgen zu können. Das kleine Zazid als Profiteur der aktuellen Krisenstimmung.

Auf dem Friedhof von Zazid springt einem auf den Grabsteinen zwangsläufig der Name "Svab" ins Auge, im Slowenischen eine (verächtliche) Bezeichnung für Schwaben, also Deutsche oder Deutschstämmige. Das habe seinen Ursprung in der nach einer mittelalterlichen Pestepidemie erfolgten habsburgischen Besiedelungspolitik, meint Bitenc bei einigen guten Gläsern refosk. Der leichte, frische Rotwein ist der küstennahe Bruder des volleren teran, dem auch eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt wird.

Wilder Süden

In südöstlicher Richtung, eine Viertelstunde Gehzeit vom Ort entfernt, befindet sich die unbesetzte Bahnstation von Zazid. Zweimal täglich hält hier der Zug. Ein matter Abglanz, wenn man an die einstige Bedeutung der "Istrischen Staatsbahn" denkt, die, 1876 eröffnet, eine wichtige Landverbindung zum damaligen k. u. k. Kriegshafen in Pula darstellte. Heute ist an der kroatischen Grenze Schluss.

Die pittoreske, im realsozialistischen Stil errichtete Haltestelle wirkt in ihrer Heruntergekommenheit beinahe beseelt und böte sich als stimmungsvoller Drehort für High-Noon-Western-Sequenzen an. Assoziationen zum Westernfilmgenre stellen sich auch am Kraski Rob wieder ein - nicht zu Unrecht, wurden doch einige Szenen der berüchtigten Winnetou-Filmreihe in dieser weiten slowenischen Karstprärie gedreht.

Manche der Dolinen am Kraski Rob sind mit niedrigen Steinmauern eingefasst, Spuren einstmaliger Bewirtschaftung der kargen Hochebene. Geschützt vor Wind und Erosion, bildeten diese trichterförmigen Einbuchtungen kleine fruchtbare Oasen in der sie umgebenden Wildnis, der dazu notwendige Humus wurde in mühsamer Handarbeit angehäuft.

In Sichtweite des Lipnik, einer der drei "Achthunderter" des Plateaus, befindet sich in einer der Dolinen ein Gedenkstein, der an ein Kriegsverbrechen zur Zeit der nationalsozialistischen Okkupation erinnern soll: "An dieser Stelle haben die nazistischen Okkupatoren am 3. 10. 1943 zehn Männer aus dem Dorf Mackolje bei Triest sowie zwei Deserteure der italienischen Armee festgenommen und erschossen", so die Inschrift.

Gräben von Menschenhand

Nicht nur Dolinen zerfurchen den Kraški Rob, mitunter lassen sich auch von Menschenhand in den Fels gehauene Gräben ausmachen. Dabei handelt es sich um militärische Stellungen, die vermutlich von der Jugoslawischen Volksarmee nach Ende des Zweiten Weltkriegs angelegt wurden, um sich im Ernstfall gegen etwaige italienische Aggressionen behaupten zu können. So hat der Nachhall des italienischen Irredentismus auch am Karstrand seine bedrückenden Spuren hinterlassen.

Andere Zeugen menschlicher Intervention am Kraški Rob sind dafür umso erbaulicher: Kurz bevor man das Hochland wieder verlässt, um in westlicher Richtung nach Zazid abzusteigen, zieht sich über die sanften Kuppen eine, wie nach der Schnur gezogene Trockensteinmauer, die, nach Nordwesten weisend, einen tiefen Eindruck von Ewigkeit suggeriert. Vielleicht war es diese Mauer, die Peter Handke im Sinn gehabt hat, wenn er davon schreibt, "daß unseren Kontinent, entsprechend der Chinesischen, auch eine europäische Mauer durchzieht". (David Guttner, Album, DER STANDARD, 14.4.2012)