Die Atomdebatte wogt in Frankreich. Nicolas Sarkozy will am "nucléaire" festhalten, François Hollande den AKW-Anteil an der Stromproduktion abbauen. Bei einem Wahlmeeting warf der amtierende Präsident seinem Rivalen nun vor, keine Ahnung von Kernenergie zu haben, da er nicht einmal in Fukushima gewesen sei. "Wir waren in Fukushima. François Hollande offenbar nicht." Denn wenn sich dieser in Fukushima erkundigt hätte, wäre ihm aufgegangen, dass in Fukushima vor allem ein Erdbeben und ein Tsunami stattgefunden hätten, erst in zweiter Linie eine Atomkatastrophe, führte Sarkozy aus. "Ich bin also in Fukushima in Japan - und er knöpft sich Fessenheim vor", ätzte der Präsident in Anspielung auf Hollandes Besuch im ältesten AKW Frankreichs.

Dummerweise war auch Sarkozy nie in Fukushima. Er reiste zwar nach Japan, um sich die Erdbebenschäden anzusehen. Fukushima kam er nicht näher als 200 Kilometer. Das wäre etwa so, wie wenn er nach einem Unfall in Temelin oder Bohunice Wien besucht hätte.

Vergangene Woche musste Sarkozy selber zugeben: "Ich bin nicht Ingenieur, ich brauche meine Nase nicht in die Lage in Fukushima zu halten." Mit recht fügte er an: "Wo es ausserdem eine Sicherheitszone hatte." Sarkozy hätte es also wegen der Vorkehrungen gegen die radioaktive Verstrahlung gar nicht nach Fukushima schaffen können.

Ähnlich nahe gekommen war Sarkozy schon dem Mauerfall in Berlin. Gerne erzählte er, wie er dem historischen Ereignis am 9. November 1989 beigewohnt hatte. Sogar ein Bild gab es davon.

Dieses Bild postete Nicolas Sarkozy im November 2009 auf seiner Facebook-Seite.

Bloss enthüllte der Fotograf später, dass er Sarkozy erst am 10. November an der Mauer abgelichtet hatte. Früher schon hatte der französische Wiederwahlkandidat behauptet, er habe für die Einheitliche Europäische Akte gestimmt. Diese war der Nationalversammlung in Paris aber schon 1986 vorgelegt worden, während Sarkozy erst 1988 ins französische Parlament kam.

Solche Münchhausiaden bewirkten in Frankreich früher reichliches Schmunzeln. Jetzt aber schütteln selbst Anhänger den Kopf. Wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen verstärken die Sarko-Sprüche den Eindruck, dass der Präsident "n'importe quoi" (irgendwas) sagt - und daraus auch noch ein Argument gegen seinen Gegner zu zimmern versucht. Diese Haltung ist mit ein Grund für die verbreitete Abneigung gegen die Person des Präsidenten - eine Abneigung, die durchaus wahlentscheidend sein könnte. Doch Sarkozy scheint das bis heute nicht gemerkt zu haben. (Stefan Brändle, derStandard.at, 16.04.2012)