Parteilichkeit kann man der ägyptischen Wahlkommission nicht vorwerfen: Der Bannstrahl, der zehn von 23 Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen am 23. Mai traf, unterschied nicht zwischen Islamisten und Mubarakisten. Zwei starke islamische Bewerber - der Muslimbruder Khairat al-Shater und der Salafist Hazem Abu Ismail - wurden gesperrt sowie der Geheimdienstchef des letzten Regimes, Omar Suleiman. Aber auch ein (ohnehin chancenloses) liberales Aushängeschild hat es erwischt, Ayman Nur, den Gründer der schon unter Mubarak aktiven Oppositionspartei Ghad (Morgen).

Der Fall Nur und der Fall Shater, also Liberaler und Muslimbruder, sind ähnlich gelagert und eine Anfrage an das neue Ägypten: Beide verlieren ihren Kandidatenstatus, weil sie unter Mubarak Urteile in Prozessen ausfassten, die stets als "politisch" verstanden wurden. Der ägyptische Militärrat hat dem Rechnung getragen, in dem er beide "begnadigte", um ihnen den Weg zur Kandidatur freizumachen. Aber die Wahlkommission, die von demselben Militärrat per Verfassungserklärung mit einem allmächtigen Status - sie steht auch über jedem Gericht - versehen wurde, lehnte diese Weißwaschung ab.

Die Muslimbrüder haben dies kommen sehen und rechtzeitig einen Ersatzkandidaten aufgestellt. Die Salafisten, die ihren Kandidaten wegen Staatsbürgerschaftsfragen seine Mutter betreffend verlieren, haben dies versäumt. Eine Verschwörung wittern beide Gruppen. Aber es gibt einen Sektor der ägyptischen Gesellschaft, der froh ist, dass wieder andere, weniger ideologische Figuren - wie der Exmuslimbruder Abdul Futuh - eine Chance bekommen. Auch Leute, die bei den Parlamentswahlen islamistisch gewählt haben, wurde es zuletzt des Islamischen zu viel. Und die Angst davor begünstigte wieder so spukige Kandidaten wie Mubaraks Obergeheimdienstler.

Bei all diesen Kandidaten ging und geht es nach derzeitigem Einschätzungsstand um die Frage, wer mit Amr Moussa, dem ehemaligen Chef der Arabischen Liga, in die Stichwahl kommt. Einem Muslimbruder Shater wäre danach auch ein Sieg zuzutrauen gewesen, sonst kaum jemandem. Also macht der Kandidaten-Kahlschlag einerseits die Sache für Moussa leichter, andererseits vermindert sie seine Glaubwürdigkeit.

Denn das ist die schlechte Seite der Entscheidung der Wahlkommission: Ihr Eingreifen, das Vertrauen und Legitimität schaffen sollte, stellt sich für viele als Attacke auf Freiheit und politische Rechte dar. Dass die Kommission sich jeder Kontrolle entzieht, war schon zuvor eine Quelle des Misstrauens und der Verschwörungstheorien, die jetzt neuen Auftrieb erhalten.

Vor allem aber verstärkt der Kandidatenbann den Eindruck des politischen Chaos in Ägypten. Noch dramatischer als die Unsicherheit rund um die Präsidentschaftswahlen ist ja jene um die Verfassungsschreibung. Ein Verwaltungsgericht hat vor kurzem die Verfassungsgebende Versammlung - die so stark islamistisch dominiert war, dass fast alle anderen Kräfte in Protest auszogen - für ungültig erklärt. Wann Ägypten eine neue Verfassung bekommt, die die Macht des Präsidenten herunter- und jene des Parlaments hinaufstufen wird, ist heute völlig unsicher. Insofern ist es natürlich wieder eine Beruhigung, dass Ägypten bei den Wahlen im Mai am ehesten einen reinen Transitionspräsidenten wie Moussa bekommen wird. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 16.4.2012)