Anna Katharina Hahn, "Am Schwarzen Berg". Roman. € 20,60 / 236 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2012

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Peter ist liebevoller Vater zweier Söhne, Logopäde, Friedensdemonstrant, Baumhausbauer. Der etwa 40-Jährige ist engagiert, verzweifelt und fährt einen rostigen Fiat; ein Wutbürger.

Wir lernen Peter kennen, als er frühmorgens, völlig verwahrlost und krank, in seinem Elternhaus auftaucht. Emil, Nachbar und väterlicher Freund, ist schockiert und beobachtet ihn unerkannt. Was ist geschehen, in jenem heißen Sommer 2010? Um das auszukundschaften, führt die deutsche Schriftstellerin Anna Katharina Hahn in den Stuttgarter Vorort Burghalde, ans Ende einer Straße, "Am Schwarzen Berg" genannt, wo zwei Einfamilienhäuser bieder-romantisch am Waldrand Menschen aus der akademischen Mittelschicht beherbergen. Dort befindet sich der zentrale Handlungsort des Romans.

Ähnlich ihrem gelobten Vorgänger Kürzere Tage verortet die 1970 geborene Autorin das Geschehen in der Gegenwart, beleuchtet Gesellschaftsphänomene und entfaltet einen bunten Reigen skurriler Figuren mit ihren alltäglichen Sorgen, seelischen Abgründen und sexuellen Neigungen. Sie konfrontiert Lebensentwürfe zwischen Leistungsorientierung und -verweigerung, zwischen "Scheckbuch-Existenz" und Weltfremdheit.

Im "brotkrustenfarbenen Hexenhaus" lebt das kinderlose Paar Emil und Veronika Bub. Sie eine rebellische Bibliothekarin, er verträumter Deutsch- und Geschichtelehrer. Beide haben Affären, sind dem Alkohol nicht abgeneigt und in fürsorglicher Hingabe dem Nachbarskind Peter verfallen. Dessen spießige Eltern wohnen im "weißen Bungalow": ein erfolgreicher Arzt in ständiger Zeitnot, die Ehefrau Praxisgehilfin. Sie stellen einen ideologischen Gegenpart zu den Freigeistern dar.

Peter verbrachte die meiste Zeit seines Heranwachsens bei den Nachbarn, zu seinen Eltern hat er auch noch als Erwachsener ein schwieriges Verhältnis. In Rückblenden entsteht eine Kindheitswelt, in der er die Liebe zur Aquaristik entdeckte und mit dem Mörike-Liebhaber Emil in die naturromantische Lyrik des deutschen Dichters abtauchte. Die Mörike-Expeditionen, angeregt durch den fiktiven und wahnsinnigen Biografen Carl Fridolin Weinsteiger, gehören zu den erheiterndsten Stellen des Romans und bilden die Brücke zur Gegenwart, in der Peter in der Protestbewegung gegen die Bahnhofoffensive Stuttgart 21 aufgeht. " Das ist der pure Eichendorff, der auferstandene Mörike." Die in Stuttgart lebende Hahn verknüpft aktuelle Ereignisse mit dem Privaten und stellt sie in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. Ihre Charakterstudien, präzise, launig und bildhaft beschrieben, zeigen aber wenig überraschende Wendungen und sind oft plakativ.

Die Bemühung ist groß, exemplarische Typen erschaffen zu wollen. Die Stärke liegt in kurzen Sätzen mit großer Informationsdichte und in der Verlangsamung der Handlungsführung, womit sie Peters Weigerung, sich in gesellschaftliche Normen einzupassen, auf eine sprachliche Ebene hebt.

Protestbaumhausbauen mit den Kindern für eine höhere Sache: Peters Frau kann sich mit seinen Idealen nicht identifizieren. Die Wut schlägt bald in Verzweiflung um, für sein Engagement zahlt er einen hohen Preis.  (Sebastian Gilli , Album, DER STANDARD, 14./15.4.2012)