In den eigenen Reihen: Wiener Polizisten bei der Angelobung.

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Wiener Polizisten beim Einsatztraining mit Pfefferspray.

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Als Jugendliche kamen wir eines Nachts auf die Idee, mit unseren Gitarren zum Friedhof zu ziehen und dort den Verstorbenen ein paar Lieder vorzuspielen. Edgar Allan Poe hätte seine Freude an uns gehabt, und die Toten, so kam es uns vor, hatten gegen die Abwechslung in ihrem grauen Nachtleben zumindest nichts einzuwenden. Plötzlich war ein Kommando zu hören und rings um uns flammten Taschenlampen auf. Wir wurden verhaftet.

Die Einvernahme auf dem örtlichen Gendarmerieposten zog sich bis in die frühen Morgenstunden hin, da auch noch ein Protokoll zu schreiben war. Die öffentliche Ordnung lag damals in den Händen von ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die in ihrer Jugend zwar ein Maschinengewehr, aber keine Schreibmaschine zu bedienen gelernt hatten. Unsere Frage, wer denn nun die Geschädigten seien, blieb unbeantwortet, unsere Argumentation, dass den Toten die Gitarrenmusik womöglich besser gefallen habe als die Blaserei des Kameradschaftsbundes, schrammte knapp am Widerstandsparagrafen vorbei. Letztlich waren wir froh, dass wir mit einer Verwaltungsstrafe davonkamen. Heute kann ich das als Anekdote erzählen und darüber lachen.

Kundgebung gegen Franco

Als 1975 der greise spanische Führer Franco, schon in seinen letzten Atemzügen, noch fünf militante Gegner seiner Herrschaft hinrichten ließ, kam es auch in Wien zu einer großen Kundgebung, die mit der Verletzung von Polizisten, der Verhaftung zahlreicher Demonstranten und der Verwandlung des Iberia-Reisebüros in eine Schottergrube endete. "Franco! Mörder!" war die Parole des Demonstrationsbeginns gewesen, am Ende hieß es: "Wiener Polizisten schützen die Faschisten."

Dazu muss man sich einen Hagel von Pflastersteinen vorstellen, der von den Polizisten mit ihren damaligen Schilden nur mühsam abzuwehren war. Es ist nachvollziehbar, dass einem dabei die Galle hochsteigt.

Die Konfrontationen mit der Polizei gehörten nicht nur in Österreich zu den Demonstrationserfahrungen der 70er- und 80er- Jahre. So chancenlos die jeweiligen Demonstranten gegenüber Wasserwerfern und Tränengas auch waren, diese Erfahrungen waren prägend für das politische Bewusstsein der Zeit. Denn es sind ja meist nicht die Angepassten, sondern die Herausforderer, die eine Zeit prägen.

Konfrontationen mit der Polizei

Gegen Ende der 70er-Jahre verlagerten sich die Themen, die auf der Straße ausgetragen wurden, von der internationalen Politik (Vietnam, Nixon, Franco, Kurden, Friedensbewegung) zum Umweltschutz hin, beginnend mit der Anti-AKW-Bewegung bis zur Besetzung der Hainburger Au. Auch diese Kundgebungen führten immer wieder zu Konfrontationen mit der Polizei, ich erinnere nur an die blutigen Bilder von der Räumung der Hainburger Au. Aber jetzt handelte es sich um Vorgänge, die eng mit der österreichischen Politik verbunden waren.

Und so wurden die Konfrontationen gleichzeitig zum großen Generator von zwei neuen politischen Bewegungen, die nach und nach miteinander verschmolzen, der Gruppe der Alternativen und der Gruppe der Grünen.

Einige, die sich damals noch blutige Köpfe holten, saßen ein paar Jahre später im Parlament. Als Abgeordnete konnten sie den Innenministern lästige Fragen stellen und seltsame Verbindungen aufdecken. Und so kam im Nachhinein auch heraus, dass die polizeiliche Bekämpfung des links-alternativen Spektrums in Österreich mit einer Stasi-Schnüffelei beachtlichen Ausmaßes verbunden gewesen war. Das stillschweigende Einverständnis der Politik und der Öffentlichkeit mit dem Vorgehen der Exekutive war nach den blutigen Bildern von der Hainburger Au jedoch zerbrochen.

Verhältnis zur Polizei

Wir konnten aufatmen. Und erwachsen werden. Ich musste mein Verhältnis zur Polizei nicht mehr von den Erfahrungen jugendlicher Hitzköpfigkeit diktieren lassen. Denn auch die Herrschaft der Wehrmachtssoldaten kam langsam an ihr Ende. Die Herren waren alt geworden, und die Nachkriegsgeneration rückte in die Führungspositionen auf. Allerdings war da noch eine lange versäumte Auseinandersetzung um die Selbsteinschätzung eines Landes zu führen, das immer noch vom Weltbild derjenigen geprägt war, die meinten, zur Jahrhundertmitte in einem Vernichtungskrieg ihre patriotische Pflicht erfüllt zu haben.

Dass ausgerechnet ein Präsident mit internationaler Erfahrung sich zu deren Fürsprecher machte, war, im Nachhinein gesehen, eher ein Glücksfall, weil dadurch die Auseinandersetzung über den Umgang mit der Vergangenheit unseres Landes und unserer Landsleute von Anfang an die nötige Aufmerksamkeit erfuhr. Und ohne die nötige Aufmerksamkeit geht in Österreich bekanntlich gar nichts voran.

Jörg Haiders Erfolg

Der unaufhaltsame Niedergang des Präsidenten von der traurigen Gestalt ging Hand in Hand mit dem Aufstieg eines rotzfrechen politischen Jungtalents, das es verstand, den alten, herrenlos gewordenen Geistern das neue Gesicht eines Feschaks zu verleihen. Jörg Haiders Erfolg hatte mit der Verharmlosung der Verbrechen des Dritten Reiches und der Beschwörung des Geistes alter Kampfverbände, von der Wehrmacht bis zur SS, begonnen. Das hatte zunächst tatsächlich den Anschein des Ewiggestrigen.

Doch kaum war die Nachkriegsordnung zerbrochen und die Grenze zum Osten geöffnet, war aus der Beschwörung alter Pflichten die aktuelle patriotische Aufgabe von Abwehrmaßnahmen gegen "die Fremden" geworden, die in den einschlägigen Gesetzen auch so bezeichnet wurden. Dass man den österreichischen Gendarmen und Polizisten bei der Aufgabe des Vollzugs der neuen Fremdengesetze das Bundesheer zur Seite stellte, konnte nur eine verheerende Wirkung auf die Definitionskraft dieser Gesetze haben. Man war gleichsam in einen neuen Partisanenkrieg geraten.

Xenophobie der 90er-Jahre

Der Feind, so suggerierte es die Xenophobie der 90er-Jahre, war überall, innerhalb und außerhalb des Landes, er versteckte sich, er war listig und durchtrieben und meist nur an äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe zu erkennen.

Während es politisch zusehends inopportun wurde, die Polizei in Kampfformation gegen Demonstranten loszuschicken, weil die Kundgebungsteilnehmer nicht mehr als linksradikale Krawallmacher abzutun waren, sondern, wie etwa beim Lichtermeer gegen Fremdenhass, aus allen Schichten der Bevölkerung kamen, wurde die Erkennung und Aussortierung der Fremden ohne Aufenthaltsrecht zur neuen gesellschaftspolitischen Aufgabe der Polizei, durchaus mit Unterstützung der Boulevardpresse und einer wachsamen Bevölkerung. 

Aus dem rechten Eck

Abwehrmaßnahmen verlangen nach einer Kampfgeistmentalität und sie bestärken diese. Hinzu kamen die flotten rassistischen Sprüche aus der rechten Ecke, die, wie sich bei den Personalvertretungswahlen herausstellte, bei den Wiener Polizisten und Justizwachebeamten mindestens so gut ankamen wie beim Rest der Bevölkerung. In den vier Jahren, in denen vergeblich nach den Tätern der sogenannten Bajuwarischen Befreiungsarmee gefahndet wurde, kam immer wieder der Verdacht auf, die vier Morde und vielfachen Mordversuche könnten Hintermänner im Polizeiapparat haben. Zu unserem Glück war es nicht so.

In der Zeit der schwarz-blauen Regierung ist die öffentliche Zurückhaltung der Polizei bei Demonstrationseinsätzen programmatisch geworden. Man stand unter Beobachtung und wollte dem internationalen Argwohn, hier könnte die Sehnsucht nach einem neuen autoritären Staat mitregieren, auf keinen Fall Bilder blutiger Polizeieinsätze als Bestätigung liefern.

Umso größer, so stelle ich es mir vor, muss der Frust in den Reihen der Polizei gewesen sein, der sich nun im Verborgenen entlud, weniger gegen Österreicher, sondern vor allem gegen jene, gegen die in den 90er-Jahren, nicht nur aus der rechten Ecke, sondern auch aus dem Innenministerium mobilgemacht wurde, gegen Schwarze und Asylwerber.

Amnesty International

Wenn jemand von Berufs wegen dazu angehalten ist, Menschen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, in Anhaltelager und Untersuchungsgefängnisse zu stecken, dann ist es vorteilhaft, im Hintergrund eine emotionale Gruppenstruktur zu haben, die einen darin bestärkt, das Richtige zu tun.

Die Lektüre der Berichte von Amnesty International und der International Helsinki Federation for Human Rights der letzten zehn, fünfzehn Jahre, die natürlich vor allem das auflisten, was schiefgelaufen ist, kann einem den Atem verschlagen. Es verging kein Jahr, in dem es nicht zu Ausschreitungen der Polizei gegen Menschen anderer Hautfarbe oder Religion kam.

Da wurden Schwarze krankenhausreif geschlagen, einer im Zuge einer Verkehrskontrolle, ein anderer in einer U-Bahn-Station. Ein Dritter hat bei seiner Abschiebung die Crew wahrheitsgemäß darüber informiert, dass er nicht freiwillig im Flugzeug sitze, woraufhin die Fluglinie sich weigerte, ihn mitzunehmen. Zur Strafe wurde er in einer Simmeringer Lagerhalle mit dem Polizeiauto angefahren und auf brutalste Weise misshandelt, bis sein Schädelknochen brach. Begleitet wurden solche Exzesse regelmäßig von wüsten rassistischen Beschimpfungen. Und die Amtsärzte bemühten sich, die Folterknechte zu decken.

Amtsärzte und Folterknechte

Einige Fälle fanden auch international Beachtung, etwa jener des 25-jährigen Nigerianers Marcus Omofuma, dem im Mai 1999 bei der Abschiebung nach Bulgarien von seinen beiden polizeilichen Begleitern der Mund und Teile der Nase so zugeklebt wurden, dass er erstickte. Prompt fand sich auch damals ein österreichischer Gutachter, der, gegen alle Evidenz, seinem bulgarischen Amtskollegen widersprach und es nicht als erwiesen ansah, dass Marcus Omofuma an den Folgen der polizeilichen Maßnahmen starb.

Vier Jahre später, am 15. Juli 2003, starb der 33-jährige Seibane Wague bei seiner Festnahme, nachdem er von einem Rettungsarzt ruhiggestellt und von der Polizei mit dem Gesicht nach unten zu Boden gepresst worden war. Wieder gab es ein Gutachten, das die Exekutive entlastete, was freilich nichts nützte, weil ein Passant den Vorfall zufällig gefilmt hatte.

Rassistische Performance

Die österreichische Polizei hat seit Jahrzehnten eine rassistische Performance. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu einem exzessiven Gebrauch der Schusswaffe. Das sind die Tatsachen. Einmal wird ein Jugendlicher beim Einbruch in einen Supermarkt erschossen, ein andermal ein psychisch kranker Mann, der eine Flasche gegen ein Polizeiauto wirft, dann wird eine psychotische Frau, die zum Messer greift, mit gleich neun Kugeln niedergestreckt. Und als unbewaffnete Rumänen, die sich eine zugegebenermaßen dreiste Art des Geldverdienens haben einfallen lassen und auf der Südautobahn bei Verkehrssündern abkassierten, von der Polizei erschossen wurden, fand das auch noch den Beifall niederösterreichischer Politiker.

Eine nunmehr schon zehn Jahre alte Studie des Innenministeriums ergab, dass die meisten Polizisten nicht bereit seien, gegen ihre Kollegen auszusagen. Daran dürfte sich seither nicht viel geändert haben. Mit erstaunlicher - weil neuer - Offenheit sprach darüber in einem Falter -Interview Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl. Er sagte: "Den Corpsgeist findet man in allen militärisch organisierten Verbänden, da gehört die Polizei auch dazu.

Man entwickelt eine gewisse Kameradschaft, hat ein Ziel vor Augen, etwa einen Verbrecher zu fangen. Wenn der Corpsgeist zu weit nach oben geho-ben wird, leidet unter Umständen die Verhältnismäßigkeit und man sagt bei Fehlern vielleicht: 'Ist eh net so oarg.'" Ich kenne diesen Geist nicht nur von den Polizisten, sondern auch von anderen Gruppen.

Polizei als Aushängeschild

Er stammt aus den Zeiten, in denen sich diese Gruppen schützen mussten. Es ist nicht der Geist der Transparenz, sondern es ist der Geist der Konspiration und des Kampfes. Dass man ge-gen die Polizei nicht ankommt, hat man mir schon vor fünfzig Jahren erzählt. Weil die Fehler in den letzten Jahrzehnten immer verharmlost und vom Corpsgeist gedeckt wurden, sind sie so zahlreich geworden, dass der Zustand moralisch ein Maß von Unerträglichkeit erreicht hat, das von einem demokratischen Land, das auf die Gleichheit vor dem Gesetz und eine unabhängige Justiz Wert legt, nicht länger hingenommen werden kann.

Die Polizei ist der sichtbare Teil des Rechtssystems eines Landes. Sie ist gleichsam das Aushängeschild seines Realzustands. Man muss diesen Realzustand hin und wieder an dem messen, was eigentlich vorgesehen war.

Als höchster Wert gilt die Unversehrtheit des eigenen Lebens. Der Übergriff auf das Leben eines anderen ist ein verbrecherischer Akt. Die Polizei ist dazu da, solche verbrecherischen Akte zu verhindern und das Leben in seiner Unversehrtheit zu schützen. Wenn ein Mensch dieser wichtigen, aber schlecht bezahlten Aufgabe in einer Gesellschaft nicht gewachsen ist, hat er bei Amtshandlungen der Polizei schlicht nichts verloren. Ob Gesetze eingehalten oder verletzt wurden, darüber haben unabhängige Richter zu befinden und nicht die Abgesandten der eigenen Standesvertretung.

Das Ansehen des Staates

In einem Land, in dem auch alle von anderen EU-Staaten akzeptierten Bürger und Immigranten völlige Bewegungsfreiheit haben, müssen wir zu unserer eigenen Sicherheit, nicht nur von heute, sondern vor allem in der Zukunft, auf eine hochqualifizierte und menschenrechtlich einwandfreie Polizei Wert legen, die sich keinerlei ethnische Bevorzugungen oder Ablehnungen gestattet.

Eine unangemessene Amtshandlung schadet nicht nur demjenigen, den sie betrifft. Sie schadet der Polizei selbst, sie schadet der Gesellschaft, also der Zukunft von uns allen, und sie schadet natürlich auch dem Ansehen des Staates. Der demokratiepolitische Schaden ist umso größer, wenn er begleitet wird vom Gefühl, dass sich hier Strukturen herausgebildet haben, für die offenbar andere Gesetze gelten, gegen die man nicht ankommt.

Presseecho

Den Spielchen, wie die Parteien sich in die Strukturen der Polizei und vormals Gendarmerie einmischen, konnte ich, aus einer privaten Zufälligkeit heraus, eine Weile zusehen. Wenn die politischen Instanzen nicht in der Lage sind, eine Polizei aufzubauen, die nicht irgendwelchen alten Geistern, sondern der Zukunft eines europäischen Landes verpflichtet ist, dann müssen die restlichen Bewohner dieses Landes dafür sorgen, dass die Polizei, so wie es auch für den ORF ansteht, dem Zugriff der Parteien entrissen wird. Denn letztlich sind es deren gewerkschaftliche Arme gewesen, die den alten militärischen Corpsgeist sozialpartnerschaftlich so verbrämt haben, dass er auch in der Republik salonfähig war.

Den Falter-Leuten wird es wohl eine Genugtuung sein, dass ihre jahrzehntelang mehr oder weniger alleingelassene Berichterstattung über die dunklen Fälle unserer Exekutive in letzter Zeit ein allgemeines Presseecho erfährt. Wenn wir, die Falter-Generation, mit unseren Anliegen nun beim Boulevard angelangt sind, dann kann es zur Politik ja wohl nicht mehr so weit sein. Aber bitte nicht noch ein paar weitere Frühpensionisten, die sich, weil ihnen fad ist, eine lukrative Nebenbeschäftigung suchen! (Josef Haslinger, Album, DER STANDARD, 14./15.4.2012)