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Die morbide Adipositas oder Adipositas permagna ist eine chronische Erkrankung, die mit einem BMI jenseits der 40 einhergeht.

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Ein 260-Kilo-Patient wurde im Dezember 2011 in Fels am Wagram (Niederösterreich) mit einem Kran aus dem Haus gehievt. Für die Medien war das ein gefundenes Fressen, ist doch die Leserschaft bei solchen ungewöhnlichen Einsätzen garantiert. Für die Betroffenen ist diese Art der Bergung entwürdigend. Dass ihr Körpergewicht aber auch noch Anlass gibt, der Öffentlichkeit darüber Bericht zu erstatten, ist angesichts epidemiologischer Zahlen schwer nachvollziehbar.

Menschen, die mit einem Körpergewicht in einer Größenordnung von mehr als 200 Kilogramm leben, leiden unter der sogenannten morbiden Adipositas. Weltweit sind Schätzungen zufolge mindestens drei Millionen Menschen von dieser krankhaften Fettleibigkeit betroffen. In Österreich besitzen circa 80.000 Menschen einen Body-Mass-Index (BMI) jenseits der 40. Aus einer ehemaligen Randerscheinung ist eine globale Epidemie geworden. Dieser Trend zeichnet sich bereits seit 30 Jahren ab, trotzdem hält die Infrastruktur im Rettungs- und Spitalswesen international mit dieser Entwicklung nicht Schritt.

Schwerlast-Betten und Rollstühle

In Österreich ist das Krankenhaus Hallein im Salzburger Tennengau ein Ausnahmebeispiel. Dort wird schon seit einigen Jahren den Anforderungen extrem fettleibiger Patienten Rechnung getragen. Spezielle OP-Tische, Krankenbetten und Schwerlast-Rollstühle, die ein Körpergewicht von bis zu 500 kg tragen, Körperwaagen mit extra großen Plattformen und größer dimensionierte Toiletten wurden angeschafft, um eine barrierefreie medizinische Versorgung und vor allem eine respektvolle Behandlung der Patienten zu gewährleisten. 

"Es gibt immer noch Kollegen, die gehen mit ihren morbid adipösen Patienten in die Küche, um sie dort abzuwiegen", beklagt Karl Miller, Vorstand der Abteilung für Chirurgie im Krankenhaus Hallein und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Adipositaschirurgie. Die Tatsache, dass es sich bei der morbiden Adipositas um eine Krankheit handelt, bezeichnet Miller als wenig verbreitet, und Aussagen wie "Der Blade soll nicht so viel fressen" kennt er auch von medizinischem Personal. Diese ablehnende Haltung bezeichnet er als unprofessionell, gehöre es doch nicht zu den Aufgaben eines Arztes oder Krankenpflegers, darüber zu urteilen, warum ein Mensch dick geworden ist.

Im Lkw ins Spital

Improvisierte Transporte in Lastkraftwagen sind an dieser mangelhaften Akzeptanz beteiligt. Genauso wie die vorausgehende Bergung durch Einsatzkräfte der Feuerwehr. "Es ist unwürdig, leider gibt es aber keine Alternativen", sagt Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Österreichischen Roten Kreuzes. Morbid Adipöse sind aufgrund ihres hohen Körpergewichtes oft nicht mehr gehfähig und enge räumliche Wohnverhältnisse machen ein übliches Rettungsszenario in vielen Fällen unmöglich. 

Zwei Spezialkrankenwagen stehen den Rettungskräften in Österreich - in Wien und Vorarlberg - derzeit für den Transport von Schwerlasten zur Verfügung. Drei weitere sind für Niederösterreich, die Steiermark und Oberösterreich geplant. Die speziellen Einsatzfahrzeuge besitzen eine entsprechende Raumgröße und ihre Nutzlast ist höher bemessen. Die Krankentragen haben eine größere Auflagefläche und spezielle Gurtsysteme zur sicheren Fixierung der fettleibigen Patienten. Eigene Seilzugvorrichtungen erleichtern den Transfer in die Fahrzeuge.

Zu wenig Platz

"Ab 120 Kilogramm Lebendgewicht wird es für zwei Einsatzleute schon schwierig, deshalb wird auch die Besatzung eines solchen Fahrzeuges in der Regel aufgestockt", erklärt Foitik und bezeichnet die Probleme beim Krankentransport adipöser Patienten international noch als ungelöst.

Lösungen sind auch im Bereich der diagnostischen Möglichkeiten dringend gefragt. Gängige Computer- oder Magnetresonanztomografen sind für ein Maximalgewicht von rund 150 Kilogramm ausgelegt, die Tunnelgrößen bieten für viel Körperfülle zu wenig Platz. "In Österreich gibt es nur einen einzigen Computertomografen, der ein Gewicht von mehr als 200 Kilogramm trägt", sagt Miller und verweist diesbezüglich auf das radiologische Institut Doringer in Salzburg. In allen anderen Bundesländern springen veterinärmedizinische Institute ein, um mit Hilfe eines Pferde-CTs zur richtigen Diagnose zu kommen. 

Um dieser Diskriminierung endlich Einhalt zu gebieten, sind Investitionen in die Struktur der Versorgung adipöser Menschen dringend gefragt. Ein humaner Umgang mit Kranken sollte trotz aller Sparzwänge gesichert sein. (Regina Philipp, derStandard.at, 19.4.2012)