Im ÖVP-Intrigantenstadel rund um den Streit zwischen Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und Finanzministerin Maria Fekter über Art und Umfang der Euro-Informationspolitik ist der wichtigste Aspekt des Kopenhagener Treffens hierzulande bis heute fast völlig untergegangen: dass Österreichs Regierung sich verpflichtet hat, die Garantien und Beiträge der Republik für laufende und künftige Maßnahmen zur Rettung des Euro beinahe zu verdoppeln - von bisher maximal 21 auf in Zukunft knapp 40 Milliarden Euro! Plus Zinsen.
Fekter hat in einem STANDARD-Interview ("Als blond und aus der Provinz abgestempelt") nicht nur diese Globalzahlen explizit bestätigt. 21 Milliarden entfallen auf den bisher provisorischen Rettungsschirm (EFSF) von 2010, der bis (mindestens) 2014 verlängert wird. Mit knapp 19 Milliarden Euro sind wir beim künftigen ständigen Europäischen Währungsfonds (ESM) dabei, der von Juli 2013 auf 1. Juli 2012 vorgezogen wird. Sie hat dazu auch noch präzisiert, dass sie in den kommenden 27 Monaten nicht weniger als 2,2 Milliarden Euro cash als österreichisches Kapital in den ESM einzahlen muss: 900 Millionen sofort, weitere 900 Millionen im Jahr 2013 und dann noch 450 Millionen im Jahr darauf. Das sind gewaltige Verpflichtungen.
Ruck-zuck-Verfahren
Ab 1. Juli 2012 wird das unwiderruflich gelten. Das dafür nötige Gesetz wird im Nationalrat noch im Juni beschlossen werden, notfalls mit einfacher Mehrheit durch die rot-schwarze Koalition, sollten die Grünen nicht mitgehen. Und es gibt keinerlei politisch relevante Aussagen aus den Regierungsparteien, dass das anders ablaufen könnte als im Ruck-zuck-Verfahren.
Bis vor wenigen Tagen glaubte ich, das liege an der traditionellen Osterruhe. Inzwischen scheint es aber so, dass das Thema tatsächlich niemanden von den Meinungsträgern im Land kratzt. Keine breite öffentliche Debatte darüber, keine Zweifel, keine Begründungen, nichts. Umso mehr empören sich manche über Fekters Sager zu Junckers Nierensteinen! Läppisch.
Vernebelungen und glatte Unwahrheiten
In gewisser Weise geht also Junckers Politik auf: Der Eurogruppenchef verfolgt eine Strategie, die Beratungen der Eurofinanzminister und die Details dazu möglichst bedeckt zu halten, die Informationen zu kanalisieren, die Augen der (Welt-)Öffentlichkeit ganz auf ihn und seine Interpretationen zu richten. Wenn er glaubt, unangenehme Berichte vermeiden zu müssen, schreckt er vor Vernebelungen nicht zurück, im Extremfall sogar vor glatten Unwahrheiten. Legendär sein Dementi, als sich einige von ihm ausgewählte Eurofinanzminister im vergangenen Jahr geheim in Luxemburg trafen. Als "Spiegel Online" das aufdeckte, ließ Juncker seinen Sprecher aus der laufenden Sitzung heraus dementieren, dass diese Sitzung überhaupt stattfinde. Ein absurdes Unterfangen. Wenige Stunden später flog die Lüge vor Kameras auf, als die Herren das Gebäude verließen.
Kein Anhänger von Transparenz
Das alles mag seltsam klingen, gilt der luxemburgische Premierminister doch seit langem als einer der überzeugtesten und vehementesten Anhänger einer weiteren europäischen Integration, die auf Offenheit beruht. Und das stimmt ja auch. Ist aber kein Widerspruch. Nur was Kommunikation und Informationssteuerung betrifft, ist Juncker alles andere als ein Anhänger von Transparenz. Am liebsten kommuniziert er via Zeitungen quer durch Europa, die er sich selbst aussucht, oder über das ihm ergebene "Luxemburger Wort", die einzige größere Tageszeitung im Großherzogtum. Kritik an ihm selber hat er nicht so gern.
Der Konflikt mit Fekter und anderen Ministern hat sich ja nicht zuletzt daran entzündet, dass sie mit Informationen aus einer laufenden Sitzung herausgegangen ist, noch bevor eine von Juncker abgestimmte, bestimmten Sprachregelungen unterworfene Erklärung fertig war.
Diese Position Junckers hat etwas für sich. Er begründet das damit, dass "die Märkte" keine widersprüchlichen Meldungen bekommen sollten, weil Uneinigkeit sofort bestraft werde.
Umstrittener Juncker
Aber nicht wenige Eurofinanzminister sehen das auch ganz anders. Sie sind es, die die weitreichenden Beschlüsse, die finanziellen Lasten zu Hause erklären müssen - und wollen sich daher von Juncker, der immer auch ein bisschen oberlehrerhaft auftritt, nicht vorschreiben lassen, wie sie mit der Öffentlichkeit umgehen, wie offen sie informieren. An diesem Tabu hat Fekter gekratzt. Sie hat sich zwar kurz den Zorn Junckers zugezogen, sich dadurch aber auch Respekt verschafft.
Denn Juncker ist unter den Finanzministern nicht so unumstritten, wie es nach außen hin scheinen mag, nicht zuletzt, weil er als Regierungschef von Luxemburg auch beinhart Eigeninteressen vertritt, wenn es sein muss: Er bekämpft die Aufhebung des Bankgeheimnisses in einer neuen Zinsrichtlinie seit Jahr und Tag (so wie Österreich auch übrigens), obwohl praktisch alle EU-Partner inzwischen Härte und Meldepflicht für Steuersünder verlangen.
Anderes Beispiel: Juncker tritt vehement für Eurobonds ein, nicht zufällig, denn natürlich würde viel von diesem Geschäft über den großen Finanzplatz des winzigen Luxemburg abgewickelt werden, wo EU-Institutionen, Banken, Hedgefonds und Versicherungen einen Großteil des Wohlstands sichern.
Man soll sich also nicht täuschen: In EU-Ministerräten geht es oft hart zu, wenn es wirklich um etwas geht, insbesondere um Milliarden, die nach Brüssel fließen sollen, um von dort weiterverteilt zu werden. Fekter hat diesbezüglich gegen Juncker kräftig aufgezeigt, es wissen jetzt alle EU-Finanzminister, dass mit ihr im Zweifel nicht gut Kirschen essen ist. Da haben sich zwei gefunden. Da Österreich eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder in Europa ist und beim Schutz des Euro mit Deutschland, Finnland und den Niederlanden eine Schlüsselrolle spielt, hat sie keine schlechte Position.
Womit wir wieder bei den Eurogarantien wären. Zwar haben die Grünen (noch vor Kopenhagen) herumgeraunt, sie würden den künftigen Europäischen Währungsfonds (ESM) mit einem Veto im Nationalrat eventuell verhindern. Da ging es noch um "nur" 21 Milliarden. Aber diese Drohung war leer, auch wenn der grüne Ex-Chef Alexander Van der Bellen noch so empört reagierte, als ich die vermeintliche Vetokeule in einem Kommentar als billigen grünen EU-Populismus beschrieb.
Der ESM-Vertrag, eine zwischenstaatliche völkerrechtliche Vereinbarung, hat mit EU-Recht nichts zu tun. Er bedarf im Notfall keiner EU-Vertragsänderung, auch wenn die deutsche Kanzlerin Angela Merkel das unbedingt möchte. Sie kann beim ESM nicht mehr zurück. Ein Rückzieher der Garantien durch Deutschland würde die Währung vermutlich binnen kürzester Zeit zum Kippen bringen.
Ohne Information der Bevölkerung
Zurück zu Österreich: Es ist irre, dass ein kleines Land sein Ausfallrisiko derart erhöht, ohne dass die Bevölkerung darüber zuvor ausreichend informiert und aufgeklärt wird und das dann auch mehrheitlich mitträgt. Gerade der Opposition käme dabei eine Schlüsselrolle zu. Aber sie suhlt sich derzeit genussvoll im Telekom-Morast. Nichts gegen Aufklärung der Korruption, die muss sein, aber die Einberufung einer Sondersitzung des Nationalrats zu den Eurorettungsschirmen wäre derzeit eher angesagt.
Zur Verdeutlichung, wovon wir bei den Eurogarantien reden (besser: viel mehr reden sollten): 40 Milliarden Euro, das sagt sich so leicht, das wären in alter Währung 550 Milliarden Schilling gewesen. 600 Milliarden Schilling, so hoch war die Gesamtverschuldung Österreichs etwa zu der Zeit, als Franz Vranitzky Kanzler wurde und Falco seinen Welthit "Rock Me Amadeus" schrieb. Also Mitte der 1980er Jahre. Gar so lange ist das auch wieder nicht her.
Hätte vor zehn Jahren in Schillingzeiten jemand behauptet, dass eine österreichische Bundesregierung einmal Haftungen von 500 Milliarden übernimmt, weil die gemeinsame Währung Euro geschützt werden muss, er wäre wohl für verrückt erklärt worden.
Alle Für und Wider ausstreiten
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich halte diese Beteiligung Österreichs an der Eurostabilisierung letztlich für richtig, bin aber gerade deshalb vehement dafür, dass das offen ausgestritten wird. Mit allen Für und Wider. Geschieht das nicht, werden am Ende wohl die Antieuropäer und Scharfmacher, die nationalistischen Vereinfacher Kapital daraus schlagen. So stiefmütterlich, wie das Thema derzeit behandelt wird, kann sich ein FPÖ-Chef H.-C. Strache gemütlich zurücklehnen. Umso brutaler wird er auf diesem Thema später herumreiten, wenn dann doch durchsickert, worum es geht - als Beleg für seinen scharfen Anti-EU-Kurs.
Seit dem Finanzministertreffen von Kopenhagen am 30. März ist das also Faktum. Aber weder die großen Boulevardzeitungen noch die Regierung noch die Opposition haben das bisher aufgegriffen. Warum eigentlich? Von Brüsseler Boden aus, wo man es nicht für völlig abartig hält, dass diese Haftungen tatsächlich schlagend werden könnten, sollte Spanien (und in der Folge Italien) Hilfe brauchen (wofür es Anzeichen gibt), ist das erstaunlich.
In Deutschland sieht das jedenfalls völlig anders aus: Dort wird im Bundestag offen und hart darum gerungen, ob und wie man zu Mehrheiten für den deutschen Anteil an den Eurohaftungen kommt, auch in der Regierungskoalition. Dort geht es um 400 Milliarden Euro. Die Frage ist: Wer macht in Österreich den Anfang? (Thomas Mayer, derStandard.at, 13.4.2012)