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Patente laufen ab, Umsätze sinken. Diese Dynamik prägt den Pharma-Markt. Derzeit gibt Löcher in den Kassen.

Foto: APA/Armin Weigel

2012 wird für die Pharmaindustrie ein Schreckensjahr. Grund ist nicht das Ende der Welt, so wie es die Anhänger des Maya-Kalenders prophezeien, sondern die Industrie selbst. Weil immer weniger echte Innovationen auf den Markt kommen, füllen sich die sogenannten Pipelines mit immer weniger Umsatzbringern. Und jene für jene Blockbusters, die es derzeit am Markt gibt, laufen zunehmend die Patente aus.

Allein heuer betrifft das Arzneimittel mit einem weltweiten Jahresumsatz von 63 Milliarden US-Dollar. Bis Ende 2013 sollen es sogar 130 Milliarden sein. Zum Vergleich: Die Branche setzt weltweit etwa 800 Milliarden Dollar um. Prozentuell ist die Situation gesamt gesehen zwar nicht ganz so dramatisch, in einzelnen Fällen bereitet die " Patent-Klippe" einzelnen Konzernen aber bereits seit Jahren Kopfzerbrechen. Denn ohne entsprechende Strategie stehen sie nicht nur am Abgrund, sie könnten am Ende des Jahres sogar einen Schritt weiter sein.

Besonders heftig trifft diese Klippe Pfizer, die Nummer eins der lange Zeit erfolgsverwöhnten Branche. Hier läuft heuer - in Österreich Ende Mai - das Patent für das umsatzstärkste Medikament, den Cholesterinsenker Sortis/ Lipitor, aus - Zocor der Name in Österreich. Dieses Produkt ist global das umsatzstärkste Medikament der Welt mit einem Jahresumsatz von zuletzt 9,5 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz des Pharmariesen lag im Vorjahr bei 67,4 Milliarden. " Das ist für uns kein unerwarteter Moment. Die Situation war uns bewusst, und wir haben uns seit Jahren darauf vorbereitet", sagt Pfizer-Österreich-Chef Robin Rumler. Man habe Strukturen um- und sich breiter aufgestellt. Auch die Fusion mit Konkurrent Wyeth erfolgte aus diesem Grund. Rumler: "Wir haben heute beinahe 100 Moleküle für neue Produkte in der klinischen Forschung und auch schon neue Produkte auf den Markt gebracht." Dabei sei man in neue Segmente gegangen.

Härtere Zeiten

Für andere Hersteller gilt das weniger. "Pharmariese AstraZeneca erwartet härtere Zeiten - 2011 bestenfalls Umsatzstagnation erwartet", titelten die Presseagenturen nach der Bilanzpräsentation im Jänner. Mit dem verhaltenen Ausblick steht AstraZeneca nicht allein da. Auch andere internationale Pharmagrößen schlagen angesichts von erwarteten Belastungen durch Gesundheitsreformen in den Industriestaaten und dem verschärften Wettbewerb durch Generika-Hersteller vorsichtigere Töne an. Japans größter Pharmakonzern, Takeda, hat im abgelaufenen dritten Quartal wegen schwacher Geschäfte in den USA einen Gewinnrückgang verzeichnet. Der Patentablauf des Magenmittels Prevacid in den USA sowie Rückschläge bei dem Abnehm-Medikament Contrave machten dem Konzern zu schaffen. Zudem lief im Jänner noch das Patent für den stärksten Umsatzbringer - das Diabetes-Mittel Actos - aus. Bei Sanofi-Aventis verlieren Kassenschlager wie der Blutverdünner Plavix oder der Gerinnungshemmer Lovenox bis 2013 ihren Patentschutz. Deutschlands zweitgrößter Pharmakonzern, Boehringer Ingelheim, hat im vergangenen Jahr wegen Patentabläufen und hohen Investitionen in neue Arzneien deutlich weniger verdient. Der Betriebsgewinn sei um 15 Prozent auf 1,90 Milliarden Euro gesunken, teilte der nach Bayer zweitgrößte deutsche Pharmakonzern mit.

In den USA waren unter anderem die Patente des Prostatamittels Flomax und des Parkinsonpräparats Sifrol abgelaufen. Der US-Pharmariese Eli Lilly rechnet in den kommenden Jahren ebenfalls mit Milliardeneinbußen wegen des Auslaufens wichtiger Patente. Der Verlust des Patentschutzes bei den Top-Medikamenten Zyprexa gegen Schizophrenie, Cymbalta gegen Depressionen, Evista gegen Knochenschwund und anderen Arzneien werde den Umsatz im Zeitraum 2010 bis 2014 jährlich um etwa sieben Milliarden Dollar (4,91 Milliarden Euro) schmälern, teilte der Konzern mit. Im Oktober beispielsweise dürfte das Patent für Zyprexa auslaufen, das zuletzt auf Jahresumsätze von etwa fünf Milliarden Dollar kam.Das Auslaufen wichtiger Patente bringt auch den US-Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb in Bedrängnis. Im vierten Quartal ging der Umsatz mit dem Blutverdünner Plavix um drei Prozent auf 1,67 Milliarden Dollar (1,270 milliarden Euro) zurück. Das Patent für die bisherige Nummer zwei unter den umsatzstärksten Medikamenten - nach dem Cholesterinsenker Lipitor von Pfizer - läuft Mitte Mai aus. Zudem gab der US-Konzern mehr Geld für die Werbung für neue Medikamente aus.In der Schweiz wird Novartis bis 2013 den Patentschutz für das Bluthochdruckmittel Diovan in Europa, Amerika und Japan verlieren. Das Medikament sorgte 2010 für immerhin sechs Milliarden Dollar Umsatz. Für Glivec, einen weiteren Blockbuster, läuft auf den gleichen Märkten der Patentschutz zwischen 2014 und 2016 aus.

Auch für Krebsmedikamente

Konkurrent Roche trifft es noch härter: Die Patente ihrer drei wichtigsten Medikamente MabThera/Rituxan, Avastin und Herceptin laufen in den USA und Europa zwischen 2014 und 2019 aus. Die Krebsmedikamente waren 2010 mit 8,4 Milliarden Franken (6,8 Milliarde Euro) für die Hälfte des Roche-Umsatzes verantwortlich.

Doch das Auslaufen der Patente ist für viele Konzerne nicht das einzige Problem. Im Ringen um neue Umsatzträger häuft sich eine Reihe von Rückschlägen. Novartis, AstraZeneca sowie Sanofi-Aventis meldeten zuletzt schwere Schlappen bei der Entwicklung neuer Medikamente, die nach dem Auslaufen vieler Patente von erlösstarken Präparaten die Zukunft sichern sollten. Der Blutdrucksenker Tekturna des Schweizer Pharmakonzerns Novartis erwies sich in einer Phase-III-Studie bei Hochrisikopatienten als unwirksam. Der britisch-schwedische Konkurrent AstraZeneca musste gleich zwei Rückschläge bei neuen Behandlungen von Krebs und Depressionen einstecken. Der französische Sanofi-Konzern scheiterte mit dem Multiple-Sklerose-Mittel Aubagio in einer direkten Vergleichsstudie.

Die Pharma-Klippe wird den Markt treffen. Allein in Österreich sparen die Krankenkassen bis zu 1,3 Milliarden Euro innerhalb der nächsten drei Jahre. (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 16.4.2012)