Alabama Shakes - "Boys & Girls" (RTR / Vertrieb: Indigo)

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Der US-amerikanische Süden taugt als Projektionsfläche für Sehnsüchte, Klischees und Mythen immer noch wie wenige andere Weltgegenden - zumindest wenn es um Populärkultur geht. Der Blues, der Jazz, Rhythm 'n' Blues, Rock 'n' Roll - alles fand dort zusammen, entstand in den Sümpfen rund um den Mississippi, dieser Lebensader und Trennungslinie inmitten der USA. Wer sich dort einmal rumgetrieben hat, weiß, dass es in diesem Streifen entsetzlich öde sein kann.

Die von Europäern so dankbar aufgesogenen Roadmovie-Fantasien finden sich in der Realität kaum je so romantisch wieder, wie es das Kino verspricht. Zuhauf finden sich Städte, die nur aus einem Einkaufszentrum am Highway sowie drei Niederlassungen elender Fastfood-Ketten bestehen und nach europäischen Maßstäben gar keine solchen sind. Einerseits. Andererseits gibt es dann wieder Ortschaften, in denen man heute noch den Geist vergangener Tage zu vernehmen scheint, in denen tatsächlich noch alte Diners existieren, kleine Familienbetriebe, regionale Radiosender - und Plattenläden, gefüllt mit den Zeitdokumenten der Gegend.

Athens in Alabama gehört allen Beschreibungen nach nicht dazu. Ein ödes Kaff, in dem die Jugend lebensinhaltlich säuft und die erste sich bietende Gelegenheit nutzt, um abzuhauen. Aus diesem keine 22.000 Einwohner umfassenden Örtchen kommen die Alabama Shakes. Böse Zungen behaupten, sie sehen auch so aus. Das beiseitegelassen kann man sagen, sie klingen nach dem US-Süden. Hauptverantwortlich dafür ist Brittany Howard. Sie ist die Gitarristin und Sängerin der Shakes, die im noch jungen Jahr zu einer der kommenden Bands hochgelobt werden.

Howards Stimme ist typisch Down Home, ihr Zungenschlag lässt an Soulfood, Dosenbier auf der Veranda und Juke Joints mit schwarzen Musikern in Latzhosen denken. Ihr Gesang kommt aus dem Blues, den sie mit drei ihr schon seit der Schule bekannten Weißbroten in Richtung eines nicht vor Ehrgeiz zerfressenen Rock überführt. Ein Stil wie ein Evergreen. Solchen ist naturgemäß wenig Neues hinzuzufügen, die Veränderungen finden im Kleinen statt.

Anders als Bands wie die Black Keys oder die dahingegangenen White Stripes suchen und finden die Alabama Shakes ihr Glück in einer schunkeligeren Version des Bluesrock. Das Kraftlackeltum eines Jack White unterliegt hier der Gemütlichkeit und der großzügigeren Instrumentierung. Man übertreibt nicht, wenn man den Shakes wegen des Einsatzes von Klavier und Orgel eine gewisse Soulfulness nachsagt. Die Verwandtschaft erkannte Jack White selbst, auf seinem Label Third Man veröffentlichten die Alabama Shakes eine erste Single, seit dieser Woche steht ihr erster Longplayer in den Geschäften: Boys & Girls.

Der Titel deutet schon an, dass hier nicht auf den Literaturnobelpreis geschielt wird. Die Alabama Shakes verhandeln die einfachen Themen, befassen sich mit der eigenen Lebenswelt. Buben und Mädels, Stars and Stripes - und Landflucht. Die ihre führte sie nach Nashville, wo sie das Album aufgenommen haben. Howards Gesang hat nichts Übertriebenes, ihre Leidenschaft wirkt lebensnah, die Musik ist verhalten funky - etwa die Gitarre im Song Hang Loose.

Entfernt erinnert diese so einfach gebaute Musik an jene von Alex Chilton in den 1980ern, an sein Album High Priest. Auch diesem Sohn der Stadt Memphis gelang damals eine ähnlich herrliche Verschmelzungsmusik. Wie Chilton haben die Alabama Shakes ihre Einflüsse so verinnerlicht, dass daraus längst eine eigene Sprache geworden ist. Das schlägt sich in der Geschlossenheit dieses Albums nieder, auch seine Vielfalt leidet darunter nicht.  (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 13.4.2012)