Der Kreisverkehr ist die sinnvollste Möglichkeit, das Aufeinandertreffen von Fahrzeugen aus allen möglichen Richtungen zu ordnen.

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Einer der komplexesten "Kreisel", ein doppelter, befindet sich in Imst - sieht enorm kompliziert aus, funktioniert aber prächtig.

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Zudem wecken Kreisverkehre die Lust an kreativer, origineller Gestaltung - was mitunter auch ein bisserl danebengehen kann.

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Ausgerechnet im aufgehenden Zeitalter der totalen elektronischen Vernetzung und Verkehrslenkung setzt sich eine altbekannte Einrichtung immer mehr durch, die genau das Gegenteil von Hightech darstellt: der Kreisverkehr. Die Engländer wussten es schon immer, Verkehrsexperten haben es vor mehr als vierzig Jahren auch wissenschaftlich nachgewiesen: Der Kreisverkehr ist die sinnvollste Möglichkeit, das Aufeinandertreffen von Fahrzeugen aus allerlei Richtungen zu ordnen. Das heißt, eigentlich regelt sich der Verkehr praktisch von selbst, wenn er sich im Kreis dreht.

Die Engländer setzten diese Erkenntnis schon seinerzeit in die Praxis um und hatten auch noch einen Startvorteil dabei. Linksverkehr mit Rechtsvorrang bedeutet von vornherein, dass der Einfahrende in den Kreisel zu warten hat, also dem Fahrzeug drinnen Vorrang geben muss. Das ist Grundvoraussetzung, dass sich das Reindl ständig selbst ausreibt und der Kreisverkehr sich nicht verstopft. Linksverkehr mit Rechtsvorrang hat nebenbei den Vorteil, dass man nicht nur ohne Ampeln auskommt, sondern völlig ohne Verkehrszeichen.

Da es nun nahezu unmöglich ist, so fundamentale Dinge wie Rechtsverkehr und Rechtsvorrang zu ändern, gleichzeitig aber der Kreisverkehr nur dann wirklich sinnvoll ist, wenn der Einfahrende wartepflichtig ist, müssen eben Vorrang- oder Stopptafeln für die Einfahrenden aufgestellt werden. (In Österreich gab es lang sogenannte gemischte Kreisverkehre, manchmal mit, manchmal ohne Vorrangtafel - eine gefährliche Melange, die von den Kreisverkehrsgegnern immer als Argument herangezogen wurden.)

Wenn Straßen einander kreuzen, kann man davon ausgehen, dass der Kreisverkehr selbstregulierend staufrei etwa die gleichen Verkehrsströme bewältigt wie eine ampelgeregelte Kreuzung, also rund zweieinhalb mal so viel wie eine völlig ungeregelte. Und die zusätzlichen Vorteile sind überwältigend: Die durchschnittlichen Wartezeiten beim Kreisverkehr bewegen sich im Sekundenbereich, kein Vergleich zur Warterei an Ampeln. Der Kreisverkehr harmonisiert den Bewegungsablauf, die Ampel zerhackt ihn.

Weniger Schadstoffbelastung

Dies wirkt sich sowohl auf die Umwelt als auch auf die Gesundheit günstig aus: Der Lärmpegel sinkt, die Schadstoffbelastung auch - durch weniger abrupte Brems- und Beschleunigungsmanöver. Gegenüber herkömmlichen Kreuzungen ohne Regelung gehen sowohl Anzahl als auch Schwere der Unfälle beim Kreisverkehr zurück.

Der Kreisverkehr verbraucht kaum mehr Fläche als eine herkömmliche Kreuzung ohne eigene Abbiegespuren und sogar deutlich weniger Grund und Boden als eine Kreuzung mit Abbiegespuren. Wichtigster und heimtückischer Nachteil: Der Stau kündigt sich bei Überlastung nicht allmählich an, sondern kommt schlagartig und gewaltig von einem Moment auf den anderen.

Einer der komplexesten Kreisverkehrsszenarien der Welt befindet sich im sonnigen Tiroler Städtchen Imst, hinter dessen lieblichem Anblick von fern immerhin eine Bezirkshauptstadt mit 10.000 Einwohnern steckt, mit der Wirtschaftskraft der stärksten Wintertourismusregionen Österreichs im Rücken (Ötztal, Pitztal, Arlberg). Imst ist gleichzeitig der letzte weiße Fleck auf der dichten Landkarte der Verkehrsampelhersteller. Es gibt heute noch keine Ampel im Imst, trotz seiner automobiltouristischen Drehscheibenfunktion.

Wie es so weit kommen konnte, lässt sich nicht so leicht feststellen. Sicher ist nur: Die Imster wollten einfach nie eine Ampel. Sogar Siemens, Alcatel und Co, die Österreich im Lauf der Jahrzehnte mit einem nahezu lückenlosen Ampelnetzwerk überzogen, mussten irgendwann einsehen, dass Stehenbleiben wegen eines roten Birndls nichts für die selbstbewussten Imster Frauen und Mander ist und niemals sein kann.

Doch halt, da gibt es eine kleine Episode: Nach nur wenigen Monaten wurde 1976 eine gelb blinkende Ampel wieder entfernt, weil sie beim traditionellen Imster Schemenlaufen einem Fastnachtswagen im Weg war. Danach wurde sie nie mehr wieder aufgehängt.

Und das war im Grund sehr fortschrittlich, denn inzwischen kann auch der Rest der Welt die Ampel als Auslaufmodell betrachten. Die geradezu explodierende Vielfalt an elektronischen Möglichkeiten der Kommunikation von Fahrzeug zu Fahrzeug und Fahrzeug zu Infrastruktur werden Ampelanlagen bald alt aussehen lassen. (Rudolf Skarics, DER STANDARD, 13.4.2012)