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Inzestuöse Beziehungen zwischen Geschwistern werden in Österreich mit sechs Monaten Freiheitsstrafe geahndet.

Schon 2008 sorgte der Fall in Deutschland für Aufsehen. Ein Geschwisterpaar hatte sich ineinander verliebt und gemeinsam vier Kinder gezeugt. Der Fall ging damals bis vor das deutsche Bundesverfassungsgericht, Patrick S. wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nun ist der Mann mit seiner Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Inzest darf in Deutschland weiterhin bestraft werden, ein Verbot geschwisterlicher Liebe verletzt nicht die Europäische Menschenrechtskonvention (mehr dazu hier).

In Österreich ist der einvernehmliche Beischlaf unter erwachsenen Blutsverwandten durch den Paragrafen 211 gesetzlich verboten. Das Strafausmaß richtet sich nach dem Verwandtschaftsgrad. Zwischen Geschwistern wird Blutschande hierzulande mit sechs Monaten Freiheitsentzug, inzestuöse Beziehungen in gerader Linie, also beispielsweise zwischen Vater und Tochter oder Großmutter und Enkelsohn, werden mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet.

Schutz der Nachkommen

Vordergründig wird das Gesetz mit dem Schutz der Nachkommen begründet, die ein erhöhtes Risiko tragen, an einem autosomal-rezessiven Gendefekt zu erkranken. Warum, ist humangenetisch einfach erklärt: Das Erbmaterial zwischen Vater und Tochter oder Bruder und Schwester stimmt zur Hälfte überein. Die Chance, dass defekte elterliche Gene beim gemeinsamen Kind zusammentreffen, ist also relativ groß.

"Abgesehen von der Strafbestimmung der Blutschande sind in der gesamten österreichischen Rechtsordnung eugenische Erwägungen, also die Verhinderung von Erbkrankheiten, nicht Gegenstand einer Rechtsbestimmung", sagt Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien und Co-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung (ÖGS). Er bezeichnet Erbreinheit als Strafgrundlage als heikel, da das Risiko einer autosomal-rezessiven Erkrankung auch bei Kindern nicht verwandter Eltern mit bestimmten genetischen Konstellationen gegeben sei.

Die Ursache dafür findet sich im Genom, das bei jedem Menschen mit hunderten Fehlern gespickt ist. Im Normalfall ist das kein Problem, denn von jedem Gen liegen immer zwei Kopien vor, eine vom Vater und eine von der Mutter. Manche Gendefekte spielen jedoch eine etwas größere Rolle, in unseren Breiten beispielsweise die zystische Fibrose. Jeder 25. Mensch ist im Besitz dieser Mutation. Die Chance, dass der "Fehler" relevant wird, der Nachwuchs also zwei defekte Kopien erhält, liegt auch bei nicht blutsverwandten Eltern bei immerhin 1:3.500. Strafrechtlich verfolgt werden können diese Menschen aber selbstverständlich nicht. Ebenso wenig machen sich Spätgebärende, Behinderte oder drogenkranke Menschen strafbar, wenn sie ihrem Kinderwunsch nachkommen.

Vaginalsex ist verboten

Im Fall künstlicher Befruchtung wird die Absurdität des Blutschandeparagrafen noch offensichtlicher: Die ist nämlich gesetzlich erlaubt, egal ob Samen- und Eispender Geschwister sind. Wogegen auch bei Zeugungsunfähigkeit oder Verwendung von Verhütungsmitteln der Vaginalsex unter Blutsverwandten verboten ist. Der Beischlaf ist also das Problem, Anal- und Oralverkehr dürfen heterosexuelle Verwandte straffrei praktizieren. Und homosexuelle Verwandte sind hier privilegiert, denn die vaginale Penetration ist die Voraussetzung für den Tatbestand der Blutschande.

In Österreich werde das Vergehen der Blutschande zwar deutlich milder gehandhabt als in Deutschland, in einer Demokratie habe diese Strafbestimmung, so Graupner, aber generell nichts verloren. "Es handelt sich dabei um eine Menschenrechtsverletzung, denn jeder Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ist ein Eingriff in das Recht auf Privatleben und muss für die Erfüllung eines legitimen Ziels notwendig sein", betont der Rechtsexperte für Sexualdelikte.

Familienzerstörende Wirkung

Willkommen ist die Strafbestimmung vermutlich trotzdem, denn auch in einer demokratischen Gesellschaft ist es mit der Akzeptanz inzestuöser Beziehungen nicht allzu weit her. Auch wenn Blutschande selbstbestimmt, also auf Freiwilligkeit passiert, gerne gesehen sind diese innerfamiliären Beziehungen in Österreich nicht. Diese Haltung wird nicht zuletzt darauf begründet, dass sich inzestuöse Beziehungen familienzerstörend auswirken.

"Ein Blick in andere europäische Staaten zeigt, dass eine Aufhebung des Inzestverbots unter Erwachsenen zu keinerlei Problemen führt", so Graupner. Es ist also nicht so, dass sich in Frankreich, Italien oder Spanien Fälle von freiwilligem Beischlaf zwischen erwachsenen Verwandten nur so häufen. Vielleicht hat das mit dem Westermarck-Effekt zu tun. Der besagt nämlich, dass sich erwachsene Menschen, die einen Großteil ihrer Kindheit miteinander verbracht haben, ohnehin sexuell unattraktiv finden. (Regina Philipp, derStandard.at, 12.4.2012)