Lieber Robert Misik,

Sie fragen sich: "Wer braucht die Piratenpartei?" (derStandard.at, 10.4.2012).

Einerseits freut es Sie, dass es die Piraten gibt - zumindest tun Sie das per Video kund -, andererseits führen Sie schwere Bedenken gegen den Erfolg der Piraten ins Feld.

Einerseits, so Ihre Worte, sind die Piraten eine "Energiezufuhr für die Demokratie", andererseits stört Sie, dass "der eine Pirat die eine, der andere die gegenteilige Meinung hat ... Und bei neun von zehn Themen sagen sie, da kennen sie sich nicht aus."

Zunächst einmal gehören divergierende Meinungen zu einer funktionierenden Demokratie. Auch parteiintern. Die Piraten sind in der Tat keine Kaderpartei und kennen auch keinen Fraktionszwang. Und das ist gut so.

Und was die Themen angeht, so kennen sich die Piraten in Sachen Transparenz und deren technischer Realisierung sehr gut aus. Transparenz ist aber ein wirkungsvolles Mittel gegen Korruption. Wirkungsvoller als hundert Ehrenerklärungen ehrenwerter Parteivorsitzender und Dutzende von Untersuchungsausschüssen. Anders gesagt: In einem Land, wo die Korruption die Demokratie aufzufressen droht, ist das Thema Transparenz möglicherweise aktuell wichtiger als neun andere Themen.

Zur Griechenland- und Eurokrise, so kritisieren Sie in Ihrem Video, hätten die Piraten keine Lösung. Haben denn die etablierten Parteien, haben denn die Währungs- und Finanzgurus eine? Oder waren es nicht gerade die Politprofis der Altpartien und ihre Wirtschaftsexperten, die uns in die Krise geritten haben?

Sie haben recht. Die Piraten haben keine Wundermittel zur Lösung dieser Krise parat, aber sie sagen klar, wie es nicht geht, nicht gehen kann und darf. Es geht nicht, dass Freiheit und Demokratie, soziale und Umweltstandards beschnitten werden, um Investmentbanken und deren Spekulationsgewinne zu retten. Die Piraten sind urliberal, aber nicht neoliberal, sie sind sozial, aber keine Schulbuch-Sozialisten. So weit meine Erfahrungen als Pirat.

Nachdem Ihre grundsätzlichen Bedenken gegen die Piratenpartei vielleicht doch nicht so ganz zutreffen, noch ein paar Worte zu Ihren taktischen Befürchtungen.

Sie unterstellen, dass eine starke Piratenpartei Rot und Schwarz in eine große Koalition zwingen würde, und führen das Beispiel Berlin an. In Berlin wäre sich eine Dreierkoalition locker ausgegangen, auch Rot-Grün allein hätte eine sichere Stimmenmehrheit gehabt. Die SPD wollte aber lieber mit der CDU koalieren. Und hier liegt das Problem. Die großen Parteien scheuen die Mühen der Demokratie, wollen sich nicht mit kleineren Partnern "herumschlagen", sondern ihrer Klientel die Pfründe und ihren Funktionären möglichst bequem vom Proporzkuchen ein großes Stück sichern.

Hier liegt auch die Wurzel von Filz und Korruption. In Österreich haben die Piraten Rot und Schwarz sicher nicht in Große Koalitionen gezwungen, aber mit den Piraten eröffnet sich die Chance, die FPÖ - und nicht nur sie - von der Macht fernzuhalten und eine Dreierkoalition für Freiheitsrechte, Umwelt und soziale Gerechtigkeit zu bilden.

In Ihrem Video erklären Sie die Piraten zu "Eintagsfliegen". Sie warnen vor einer Dreierkoalition mit den Piraten, die es, wie Sie sagen, "innerlich zerreißen" muss. Sie sprechen in Ihrem Video sogar von "Hass", den es unter Piraten gebe, tun so, als sei die Partei unheilbar von Konflikten erschüttert.

Woher haben Sie diese Visionen? Finden Sie das nicht selbst stark übertrieben? Meinen Sie wirklich, das, was die Piraten offen austragen, finde nicht genauso und schlimmer in den Hinterzimmern der Altparteien statt? Ich erinnere nur an die Wiener Grünen vor der letzten Wahl. Im Vergleich dazu sind die Piraten ein Ausbund an Offenheit und Harmonie.

Wie wäre es, wenn Sie sich einfach einmal aus erster Hand informieren, beim allwöchentlichen Stammtisch der Piraten am Dienstagabend ab 19.30 Uhr im Wratschko? Und wenn Sie auf dem nächsten Parteitag im Sommer bei den Piraten vorbeischaun würden, könnten Sie tiefere Einblicke in die Ziele der neuen Partei gewinnen. Dann geht es nämlich um Inhaltliches, das Programm.

Am Ende ihres Video-Einführungstextes schreiben Sie: "Kurzum: Ich fürchte, die Piraten machen uns auf Dauer auch nicht glücklich."

Vielleicht wollen und sollen die Piraten ja gar nicht auf Dauer glücklich machen, sondern vor allem kritisch. Dann wäre schon viel gewonnen, oder nicht?

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr

Herbert Springer (derStandard.at, 13.4.2012)