Gehen die österreichischen Beschäftigten zu oft in den Krankenstand oder gar zu kurz? Darüber herrscht Uneinigkeit.

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Kein Geld für den ersten Tag im Krankenstand: Für diesen Vorstoß hat ÖVP-Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner viel Kritik geerntet (derStandard.at berichtete).

Nun erhält Haubner Rückenwind von Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer: Er könne der Idee, die "Eintrittsschwelle in den Krankenstand zu erhöhen", etwas abgewinnen, so Pichlbauer gegenüber derStandard.at. Statt Menschen, die krank sind, zu bestrafen, indem man ihnen den ersten Krankenstandstag vom Gehalt abzieht, schlägt der Ökonom jedoch ein Anreizsystem vor.

Für den jeweils ersten Krankenstandstag müssten sich Arbeitnehmer einen Urlaubstag nehmen - im Gegenzug sollten alle Beschäftigten mehr Urlaubstage zugestanden bekommen, fordert Pichlbauer, der in Österreich eine "Kultur des Mitleids" ortet: "Wer einen kleinen Schnupfen hat, wird von seinen Arbeitskollegen motiviert, in den Krankenstand zu gehen. Die Betroffenen fühlen sich dann wirklich krank."

"Unproduktiv"

Pichlbauers Forderung stößt bei Thomas Leoni, Arbeitsmarkt-Experte beim Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), auf Skepsis: "Mitarbeiter, die angeschlagen in die Arbeit kommen, sind unproduktiver und stecken möglicherweise andere Kollegen an. Das ist auch für die Betriebe nicht unproblematisch", so Leoni gegenüber derStandard.at.

Öfter, aber kürzer

Tatsächlich gehen Österreichs ArbeitnehmerInnen häufiger in Krankenstand als früher - doch kehren sie laut einer WIFO-Studie auch rascher wieder zurück. 35 Prozent der Krankenstände dauern drei Tage oder weniger. 1990 hatten diese noch lediglich 16,4 Prozent aller Krankenstandsfälle ausgemacht.

Weiterhin aber sind die Kurzkrankenstände insgesamt nur für einen kleinen Teil der Ausfälle verantwortlich, lange Krankenstände fallen stärker ins Gewicht. Nur 6,6 Prozent der krankheitsbedingten Fehlzeiten werden von Kurzkrankenständen verursacht - 60 Prozent der krankheitsbedingten Fehlzeiten entstehen dagegen durch Krankenstände von zwei Wochen oder mehr. 

Dass es heute mehr Kurzkrankenstände als früher gibt, hat laut den WIFO-Experten mehrere Gründe: Einerseits schreiben Ärzte und Ärztinnen ihre PatientInnen häufig nicht mehr übers Wochenende krank. Kommt beispielsweise ein Patient an einem Donnerstag in die Arztpraxis, wird üblicherweise bis Freitag krankgeschrieben - und nicht mehr bis Sonntag. Der oder die PatientIn ist in Summe zwar gleich lange krank, die Krankheitsdauer wird aber nicht mehr in ihrer vollen Länge als Krankenstand erfasst.

Andere Krankheiten

Der Anstieg bei den kürzeren Krankheits-Fehlzeiten könnte aber auch daran liegen, dass heute andere Krankheitsbilder dominieren als früher und bestimmte Leiden schneller kuriert werden können. Auch der höhere Anteil an Teilzeitverhältnissen trägt dazu bei, dass Erkrankungen zunehmend in der Freizeit auskuriert werden und folglich nicht mehr die Krankenstandsstatistik "belasten". 

Lassen sich durch die Senkung der Krankenstandszahlung "unnötige" Krankenstände verhindern? Wirtschaftsbund-Chef Haubner hatte auf das Beispiel Schweden verwiesen: Hier wurde bereits 1992 ein Wartetag eingeführt - seither wird erst ab dem zweiten Krankenstandstag das Gehalt (mit Abschlägen) weitergezahlt. Die Zahl der Krankenstände sei nach dieser Reform rapide zurückgegangen, so Haubner.

Dass der Rückgang tatsächlich an der Einführung des Wartetages liegt, ist fraglich: Gleichzeitig wurde die Last der Entgeltfortzahlung verstärkt auf die Arbeitgeberseite verschoben, auch die Fortzahlungsquote wurde gesenkt. Dazu kommt, dass Schweden in Europa zu den Spitzenreitern in puncto Krankenstandstage zählt: Im Jahr 2000, also acht Jahre nach Einführung des Wartetages, gingen schwedische ArbeitnehmerInnen immer noch durchschnittlich 22 Tage lang in Krankenstand. In Österreich waren es im Vergleichszeitraum 12,6 Tage.

Niveau-Unterschiede

Ob Einschränkungen bei den Entgeltfortzahlungen zu einer Senkung der Krankenstände führen, ist umstritten. Zwar zeigt sich in jenen Staaten, die überhaupt keine Fortzahlung im Krankheitsfall vorsehen, ein deutlich geringerer Krankenstandslevel als in Staaten mit einer gewissen Absicherung. Andererseits weisen ähnliche Sozialsysteme wie Schweden und Dänemark drastische Niveauunterscheide bei den Krankenstands-Ausfällen auf. Krankenstands-Spitzenreiter in der EU ist übrigens die Slowakei mit 26,7 Tagen - ein Land mit vergleichsweise geringer Absicherung im Krankheitsfall. (Katrin Burgstaller/Maria Sterkl, derStandard.at, 11.4.2012)