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Welcher Austria-Fan den Böller geworfen hat, der Rapid-Tormann Georg Koch schwer verletzte und seine Karriere beendete, wird sich wohl nie klären lassen. Patrick R. war es laut Gericht nicht.

Foto: REUTERS/Dominic Ebenbichler

Wien - Daniela Zwangsleitner ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Fußballfan. Sie muss sich dennoch am Mittwoch mit Austria Wien und Rapid beschäftigen. Denn Zwangsleitner ist Richterin am Wiener Landesgericht und leitet daher einen Prozess um ein Fußballspiel.

Konkret geht es um das Wiener Derby am 24. August 2008. Das gewann Rapid mit 3:0, beendete es allerdings ohne den Stammtormann Georg Koch. Der wurde bereits in der sechsten Minute das Opfer einer Böllerexplosion neben seinem Kopf - seine Karriere endete aufgrund von Tinnitus und Gleichgewichtsstörungen an diesem Tag im Hanappi-Stadion. Der Knallkörper kam von den Rängen der Austria-Fans geflogen, wo auch Patrick R. stand. Nun steht der 21-Jährige vor Gericht, warum, ist Richterin Zwangsleitner nicht völlig klar. Der ermittelnde Kriminalbeamte, der als Zeuge auftritt, kann zur Erhellung kaum beitragen. Im Gegenteil. Gruppeninspektor Ekkehard S. stellt mit Kärntner Dialekt seine Arbeit zusammengefasst so dar: Die Videoaufnahmen des Vorfalles waren unscharf, er habe in der Fan-Szene ermittelt und jemanden gefunden, der dem Böllerwerfer gleicht, und diesen schließlich angezeigt.

So leicht lässt ihn Richterin Zwangsleitner allerdings nicht davonkommen. Und bohrt nach, wenngleich sie ihm gleichzeitig versichert, dass es keine Vorwürfe sind. Da ist zunächst einmal die Qualität der Videoaufnahmen und die Frage, ob auf diesen der Angeklagte eindeutig zu identifizieren sei. " Eindeutig ist aufgrund dieses Materials nix gewesen, sage ich heute", gesteht der Beamte ein. Umgehört hat er sich im Kreis der Austria-Anhänger dennoch, "das war aber eher negativ". Und nein, er habe auch keine Gerüchte gehört. "Wissen Sie, wie schnell in diesem Haus ein Gerücht umgeht? Innerhalb von ein paar Stunden", wundert sich Zwangsleitner. Einen Monat nach dem Vorfall habe er bei einem anderen Spiel schließlich Patrick R. entdeckt, der dem Böllerwerfer auf den unscharfen Bilder ähnlich sah. Er stellte seine Personalien fest und machte - nichts. "Das verstehe ich nicht. Sie haben einen Verdächtigen und vernehmen den nicht gleich, sondern erst einen weiteren Monat später?", will die Richterin wissen. Warum das so war, weiß S. nicht mehr.

In der Zeit dazwischen fand er jedenfalls eine Zeugin, die auch am Mittwoch auftritt. Die sagt nun wie im Jahr 2008 aus, sie habe von ihrem damaligen Freund das Gerücht gehört, Patrick R. sei der Täter. Im Polizeiakt findet sich das Wort Gerücht nicht mehr, R. wird immer nur als Täter geführt. "Waren Sie der Meinung, Sie haben den Richtigen erwischt?", fragt Zwangsleiter. "Na ja, ich war mit den Ermittlungen fertig", antwortet der Polizist fast tonlos. "Ich habe das wertlos an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet." Ob er wertfrei sagen will, weiß nur er. Patrick R. wird schließlich wie schon im ersten - aufgehobenen - Prozess im Zweifel freigesprochen. In ihrer Begründung geht die Richterin mit der Polizei recht hart ins Gericht. "Das war alles sehr vage", merkt sie an. "Der Zeuge hinterließ wirklich keinen guten Eindruck." Und sie bemitleidet den Angeklagten: "Es ist schon schlimm, wenn man auf diese Weise unter Verdacht gerät." (Michael Möseneder, DER STANDARD, 12.4.2012)