Peter Palensky darf als Principal Scientist am Austrian Institute of Technology (AIT) in die Breite und die Tiefe gehen.

Foto: STANDARD/Corn

STANDARD: Wie sieht Ihre Arbeit als Principal Scientist am AIT aus?

Palensky: Ich bin der erste Forscher dieser Art am AIT. Als solcher darf ich beim Thema "komplexe Energiesysteme" mehr in die Tiefe und in die Breite gehen. Das AIT betreibt vorrangig angewandte Forschung und arbeitet auch strategisch mit der Industrie. Aber wir entwickeln intern auch die Methoden, Werkzeuge etc., die wir für die angewandte Forschung brauchen. Vereinzelt sehen wir aber den Bedarf, Neues auszuprobieren, um eine Materie fundamental anzugehen. Das geht über angewandte Forschung hinaus und ist auch riskant.

STANDARD: Wieso?

Palensky: Wir gehen davon aus, dass sich Energiesysteme verändern werden. Es kommen neue Komponenten hinzu, beispielsweise erneuerbare Energieträger, die dazu beitragen, das ohnehin komplexe Energiesystem noch vielschichtiger zu machen. Das stellt uns vor neue Herausforderungen. So gibt es für einzelne Typen von Systemkomponenten zwar Methoden, Theorien und Werkzeuge, um diese zu entwickeln, zu optimieren und zu betrachten. Aber für das Gesamte gibt es diese leider nicht. Die einzelnen Methoden vertragen sich zudem auch nicht.

STANDARD: Geht es dabei um Grundlagenforschung?

Palensky: Nein, denn wir haben stets ein konkretes Anwendungsgebiet als fernes Ziel vor Augen. So bewahren wir die Orientierung und Motivation. Wir haben genaue Ziele: verstehen, beschreiben und optimieren komplexer Energiesysteme. Aber der Weg dorthin erfordert es doch, über Grundlegendes nachzudenken.

STANDARD: Wie geht es weiter?

Palensky: Das Team ist so gut wie komplett und sehr interdisziplinär. Wir sammeln zunächst Wissen und schauen, welche Punkte wir nicht verstehen und genauer unter die Lupe nehmen müssen. Eigentlich benötigen wir eine Kristallkugel, um vorhersagen zu können, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen wird, damit wir auch gleich die richtigen Methoden haben, wenn es dann so weit ist.

STANDARD: Wie könnte ein ausgefallenes Szenario aussehen?

Palensky: Zum Beispiel: Wir bauen ein wabenförmiges Energienetz auf. Wo Energiewellen sich ihren Weg suchen dürfen, wo es Übergabestellen, kleine verteilte Speicher und wo es eine Schwarmintelligenz gibt, die das alles implizit steuert, ohne Zentrale sozusagen. Das wäre ein sehr futuristischer Ansatz, der in dieser Form nicht kommen wird, der uns aber zwingt, Mechanismen und Zusammenhänge zu erkennen, die unter Umständen in der einen oder anderen Form auftauchen könnten. Jeder weitere Use-Case deckt einen Fleck auf der Szenerienkarte ab und damit potenzielle Komponenten. Wenn man eine bestimmte Menge davon hat, kann man davon ausgehen, dass man auch den Anwendungsfall abdeckt, der dann wirklich kommen wird.

STANDARD: Gibt es einen definierten Idealzustand?

Palensky: Ja: genügend erneuerbare Energie für alle, die umweltschonend und günstig erzeugt wird.

STANDARD: Welche Rolle spielen dabei ganz profane Dinge wie Energiesparlampen?

Palensky: Wir müssen natürlich abschätzen, wie sich der Energieverbrauch über die Jahrzehnte verändert. Da kommen Energiesparlampen auch vor. Wir haben Berechnungen angestellt, wie sich Gebäude und Elektrogeräte in den nächsten Jahrzehnten verbessern werden. Wir haben statistisch aggregierte Daten, wie sich die Energieeffizienz verändern wird. Dazu muss man auch die Bevölkerungsentwicklung betrachten usw. Man kommt also leicht vom Hundertsten ins Tausendste.

STANDARD: Die Energiesparlampe steht auch deshalb zur Debatte, weil sie Giftstoffe enthält, die die Umwelt belasten. Werden solche Aspekte auch berücksichtigt?

Palensky: Das liegt außerhalb unserer Systemgrenzen. Das ist ein Schlüsselwort: Systemgrenzen. Aber sie sind wichtig, denn würde man sie nicht klar definieren, würde man an der Komplexität scheitern. Man müsste sich dann auch Gedanken darüber machen, wann wo welcher Krieg geführt, wie sich das Weltklima und der Preis für Halbleiter entwickeln wird. Das wäre ein Weltmodell. Unser Modellziel ist auch so schon groß genug. Uns geht es hauptsächlich um die Technik, obwohl wir auch Schnittstellen zu den Märkten oder Regulatorien definieren müssen. Wir wollen uns schrittweise - und vor allem maschinengestützt - an die Komplexität herantasten, die ein Einzelner nicht mehr versteht. Dabei helfen uns Computer und Modelle.

STANDARD: Gibt es eine Zeitvorgabe, die Sie einhalten müssen?

Palensky: Wir nehmen uns fünf Jahre Zeit und wollen die Ergebnisse unserer Forschungsarbeit, also Modelle, Erkenntnisse oder Berechnungen, die bereits jetzt in anderen AIT-Projekten Anwendung finden könnten, im Jahresrhythmus mit unseren Kollegen teilen. (Markus Böhm, DER STANDARD, 11.4.2012)