Am 29. April zeigt der ORF zwei Staffeln der britischen Hitserie " Sherlock": Benedict Cumberbatch (li.) und Martin Freeman als Meisterdetektiv und treuer Freund im London von heute.

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Wien - Im goldenen Zeitalter der US-Fernsehens hatte europäische Serienkost bisher einen schweren Stand. Neben Kult und Hype aus Übersee von "Mad Men" und "Lost" bis "Boardwalk Empire" drohte das epische Serienangebot der alten Welt bis auf wenige Ausnahmen (Life On Mars, Kommissarin Lund, Downton Abbey) zu verschwinden. Das scheint sich nun - wenn auch mithilfe amerikanischer Finanz- und Kreativkraft - zu ändern: Europa holt auf. Einen richtigen Schub beobachtete ORF-Serienchefin Andrea Bogad-Radatz zuletzt bei der Händlermesse MIP-TV in Cannes: " Europäische TV-Produktionen werden immer attraktiver, sowohl was Optik als auch was Inhalt betrifft."

30-Millionen-Serie

RTL etwa produziert mit HBO und der französischen Atlantique "Transporter - Die Serie": Aus seiner Filmreihe entwickelt Regisseur Luc Besson mit einem Gesamtbudget von mehr als 30 Millionen Euro eine zwölfteilige Actionserie. Die größte internationale Produktion in der Geschichte von RTL soll im Herbst laufen. Verbrechen treiben die Ermittler in "Europol" von Den Haag aus durch Europa. Wieder produziert Atlantique: " Interessant für Koproduktionen", findet Bogad-Radatz.

Für "Crossing Lines" engagierte Produzent Tandem nach US-Vorbild einen Showrunner mit Autorenteams. Das Prinzip gilt in den USA mit Serienerfindern wie Matthew Weiner (Mad Men) oder David Simon (The Wire, Treme) als Erfolgsrezept. Ed Bernero schrieb bereits Folgen von "Law & Order" und "Criminal Minds". In "Crossing Lines" geht ein New Yorker Detektiv auf paneuropäische Mörderjagd. Eindeutig positiv stach Bogad-Radatz das französische "Le Grande" mit Jean Reno ins Auge: "Mordfälle mit Mystery-Touch." Reno spielt einen Cop mit unehelicher Tochter: "Scheint ihm auf den Leib geschrieben zu sein", sagt die Serienchefin.

Kunstmenschen führen im schwedischen "Real Humans" ein Paralleldasein zu Normalwesen: "Erinnert an Stepford Wives", sagt Bogad-Radatz: "Spannende Idee." Einen Volltreffer landete Freemantle: Paul Abbott (Shameless) entwickelt "Hit & Miss" - eine Serie mit Chloe Sevigny (Big Love) als transsexueller Attentäterin. BBC America produziert erstmals eine eigene Serie: Das Drehbuch von "The Copper" über einen irischen Polizisten in New York Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Tom Fontana (Oz, Borgia). Bogad-Radatz: "Interessiert uns sehr."

ORF sucht Sitcom

Für 2013 kündigt die BBC die dritte Staffel der Krimireihe "Sherlock" an: Die Fälle des Meisterdetektivs im London von heute begeisterten europaweit, ab 29. April auch im ORF. Die US-Konkurrenz reagiert mit Mobilisierung aller kommerziellen Kräfte: "Sex and the City trifft Mad Men", charakterisiert Bogad-Radatz "Bomb Girls": Vier Freundinnen arbeiten in den 1950ern in einer Bombenfabrik. "Ganz in unserem Interesse" sei zudem der Trend zur Sitcom in den USA. Bogad-Radatz braucht Hintergrundlacher für das Vorabendprogramm. Ab 16. April löst "The Big Bang Theory" das Schmachten von "Anna und die Liebe" ab. Nachschub ist gefragt - auch mit neuen eigenproduzierten Programmen: "Ich wäre froh, wenn möglichst bald eine Leiste käme, die nicht ausschließlich mit amerikanischen Serien bestückt ist." (Doris Priesching, DER STANDARD, 11.4.2012)