Buchautor Ilan Fellmann zu der Frage, warum es so wenige jüdische Spitzenbeamte in Österreich gibt: "Das hängt mit dem landesüblichen Antisemitismus zusammen."

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Standard: Lassen Sie sich von mir auf einen Kaffee einladen, oder fühlen Sie sich dann korrumpiert?

Ilan Fellmann: Nein, weil ich als langjähriger Prüfer ganz genau weiß, wo die Grenzen sind, und ich persönlich halte die 100-Euro-Grenze für unbedenklich. Außerdem habe ich keine Dinge anzubieten, die man kaufen könnte.

Standard: Sie arbeiten immerhin in hoher Position im Verteidigungsministerium, ich könnte bei anderer Gelegenheit geheime Informationen von Ihnen wollen.

Fellmann: Ich bin im Sportbereich tätig. Ich vertrete Österreich bei der Europäischen Union, beim Europäischen Rat, bei der Unesco, beim Europarat. Das sind schon interessante Dinge, aber der Geheimniswert ist beschränkt. Aufgrund meiner Erfahrungen weiß ich ganz genau, wie weit ich gehen kann. Übrigens halte ich die 50-Euro-Grenze, die die Grünen vorgeschlagen haben, für absolut übertrieben. Eine 100-Euro-Grenze ist in Ordnung, aber sie sollte für alle gelten, nicht nur für Beamte, sondern natürlich auch für Politiker aller Art.

Standard: Ab wann würden Sie sich korrumpiert fühlen? Wenn ich Sie zu einem Fußballmatch einlade?

Fellmann: Nein, deswegen nicht, weil ich ja im Sport arbeite. Aber ich nehme keine VIP-Einladung an. Also Dinge, die einige hunderte Euro kosten. Auch ein Bayern-München-Match kostet gleich ein Vermögen, das nehme ich nicht an, ebenso wenig Salzburger Festspielkarten, wenn sie einen gewissen Wert überschreiten. Und ich würde, wäre ich Jäger, keinesfalls irgendwelche Jagdeinladungen annehmen. Herrn Landeshauptmann Platters Argumentation gefällt mir überhaupt nicht. An seiner Stelle würde ich mich fragen, warum ich eingeladen werde. Ich werde nicht als Herr Platter eingeladen, sondern als Landeshauptmann, von dem jeder etwas will. Und jetzt die ganze Jägerschaft zur Verteidigung zu nehmen finde ich fatal.

Standard: Aber die Jägerschaft findet offenkundig wirklich nichts dabei. Einladungen scheinen gang und gäbe zu sein.

Fellmann: Weil wir in einem sehr korrupten System leben. Und das sage ich auch als Mitglied von Transparency International.

Standard: Bleiben wir bei den Sporteinladungen. Was halten Sie von VIP-Einladungen für Politiker, etwa nach Kitzbühel?

Fellmann: Grundsätzlich wäre zu hinterfragen, ob Politiker wie etwa die Justizministerin oder der Landwirtschaftsminister in Kitzbühel sein müssen. Beim Sportminister ist das selbstverständlich. Ich denke, die Politiker sind gut bezahlt, die können das auch selber bezahlen oder allenfalls aus dem Staatsbudget, aber Privateinladungen ab einer gewissen Grenze finde ich hochproblematisch. Österreich ist ein überwiegend katholischer Staat, es würde uns aber ganz gut tun, wenn wir ein wenig protestantischer wären, weil die protestantische Ethik so etwas nicht zulassen würde.

Standard: Sie sind, obwohl waschechter Wiener, doch atypisch als Spitzenbeamter der Republik, weil Sie jüdische Wurzeln haben. Es gibt wenige öffentlich Bedienstete jüdischer Herkunft. Warum?

Fellmann: Das hängt mit dem landesüblichen Antisemitismus zusammen. "Die Juden", meistens gescheite Leute, wissen ganz einfach, dass sie in diesem System der Unfreiheit, der Abhängigkeit, des Speichelleckertums einfach nicht reüssieren werden. Juden bieten oft Angriffsflächen.

Standard: Sie bieten eine Angriffsfläche nur durch Ihr Judentum?

Fellmann: Ich biete Angriffsflächen, weil ich auch ein eitler Mensch bin und strikt Ziele verfolge. Und weil ich jahrelang als Interner Revisor gearbeitet habe. Schon in den 1970er-Jahren habe ich als Prüfer beim Bauring Wien, einem großen Bauskandal, tiefgreifende Berichte geschrieben und letztlich dadurch einen Architekten ins Gefängnis gebracht. Dann bin ich ins Sozial- und Gesundheitsministerium gekommen, war in der internen Revision tätig. Dort habe ich mich offenbar unter Josef Hesoun unbeliebt gemacht, ich wurde 1991 als Abteilungsleiter hinausgemobbt.

Standard: Sie glauben, das hatte mit Antisemitismus zu tun?

Fellmann: 100-prozentig. Im Vordergrund stand: unangenehmer Prüfer, es wurde mein Vorgesetzter in Frühpension geschickt, ein ranghoher Beamter, den Hesoun nicht wollte. Ich wurde dann in einem Aufwaschen gleich mit entsorgt, da waren auch andere Spitzenbeamte stark beteiligt.

Standard: Sie haben erst kürzlich über die Vertreibungsgeschichte Ihrer Familie ein Buch geschrieben. Warum jetzt?

Fellmann: 2009 hat mir meine Tochter Renée ein Buch geschenkt, Schuhhaus Pallas von Amelie Fried. Sie schreibt über ihren jüdischen Vater, der getauft war und der im Krieg untergetaucht ist, der nie gesprochen hat über seine jüdische Vergangenheit. Das hat mich genervt, ich hab Renée gesagt, so ein Schmarrn, dein Vater kann das besser.

Standard: Wie kamen Sie darauf?

Fellmann: Ich habe schon als 20-Jähriger meine ersten Recherchen zu meiner Familie angestellt - und zum Teil atemberaubende Biografien entdeckt. Etwa die von Benno Bordiga, der gemeinsam mit Cousine Hilde Harmel und meinem Vater Fritz Fellmann in der Weyringergasse 37 im vierten Bezirk aufwuchs. Alle drei mussten wegen Hitler flüchten. Benno wurde als Produzent von Autoteilen Multimillionär in New York und auch Kunstsammler und Patron der Metropolitan Opera, Hilda eine berühmte Malerin in Chicato und Fritz Antiquitätenhändler in Haifa. Mein Opa Michael wurde zur Hauptperson dieses Buches, neben meiner Mutter Trude, weil er dreimal den Nazis entkam. Dabei hat ihm meine Mutter 1939 bei der Flucht in die Schweiz das Leben gerettet. Sie lebt jetzt 87-jährig kreuzfidel in Wien.

Standard: Warum soll man das Buch kaufen? Es gibt ja nicht gerade wenig Literatur über Shoah und Naziterror.

Fellmann: Sie haben zu 100 Prozent recht, auch meine Mutter hat gesagt: Das wird keiner lesen. Meine Antwort: Ja, ich weiß das, aber um das Finanzielle geht es mir gar nicht. Man soll es lesen, weil es hochinteressant ist. Ein Freund hat gesagt, das Interessante ist, dass es so eine durchschnittliche Geschichte ist, die vielen jüdischen Österreichern passiert ist.

Standard: Ihre Mutter war in einem Kibbuz, kannte Ben Gurion und Golda Meir. Wieso ist sie wieder zurück nach Wien gekommen?

Fellmann: Meine Mutter hat meinen Vater verlassen, sie ist weniger nach Österreich zurückgekehrt als von der Familie meines Vaters geflüchtet. Auch weil ihre Mutter und ihr Bruder bereits hier waren und weil es ein kleines Geschäft gab. Da konnte sie arbeiten, in Israel hat ihr das die dortige Familie verboten.

Standard: Wie haben Sie die Rückkehr als Kind erlebt?

Fellmann: Ich war sechs Jahre alt, ging in Haifa in die zweite Klasse Volksschule. In Wien wurde ich dann ein Jahr zurückgestuft, weil ich noch nicht gut genug Deutsch sprach. Für mich war das eine Art von Versagensgefühl, dann wieder in die erste Klasse zu gehen.

Standard: Hat Ihre Mutter Ihnen auch von der Vertreibung aus Wien erzählt?

Fellmann: Ja, aber mehr noch die Oma Dora: Wir haben ja vier Häuser und Geschäfte in Wien gehabt, waren elegante, wohlhabende Leute. Dann die vielen Fluchten, schließlich ist die Familie 1939 nach Palästina gekommen und war bettelarm. Wir haben zu dritt in einem Zimmerchen gewohnt. Mein Opa Michael hat dann im Herbst 1939 die wahnwitzige Idee gehabt, zurück nach Paris zu gehen. Dort hatte er noch Waren- lager gehabt, die wollte er verkaufen und in Tel Aviv dann mit den Erlösen ein Geschäft eröffnen. Mit dem Effekt, dass er in einem Internierungslager in Vichy-Frankreich landete und knapp überlebte. Das war meiner Großmutter sehr präsent, sie hat es mir weitergegeben.

Standard: Fühlen Sie sich in Wien zu Hause?

Fellmann: Ja, weil ich Europäer und hier überwiegend aufgewachsen bin. In Israel auch, weil mein Herz dafür schlägt. Kann ich den Nazis vergeben? Nein, auch nicht vergessen. Aber man kann nicht alle Österreicher und Deutschen in einen Topf werfen. Es geht immer um individuelle Schuld. Ich habe immer für die Österreicher von heute gesprochen und meinen Verwandten in Israel erzählt, dass es viel Positives hier gibt. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 7.4.2012)