Für Michelle Yeoh ist der Part der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin Aun Sang Suu Kyi eine Lebensrolle: Den französischen Regisseur Luc Besson hat sie dafür gewinnen können. 

Foto: Constantin Film

Bert Rebhandl sprach mit ihr über die Hoffnung auf Öffnung und Intimität im Widerstand.

STANDARD: Wie kam es, dass Sie in "The Lady" die Rolle der Aun Sang Suu Kyi spielen, für die Sie tatsächlich wie geschaffen wirken?

Yeoh: Die Initiative ging von mir aus. Ich hatte irgendwo gelesen, dass jemand an einem Drehbuch über Daw Suu ("Frau Suu" in traditionellem Burmesisch, Anm.) schreibt. Eigentlich hatte ich sie seit dem Nobelpreis 1991 ein wenig vergessen, aber das hatte auch einen Grund: Die Machthaber in Burma setzten alles daran, sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Ich kam dann in Kontakt mit der Autorin Rebecca Frayn, die mich mit Aspekten der Geschichte vertraut machte, die mir nicht so präsent waren: das Opfer der Familie. Wenige wissen, wie viel ihr Mann Michael Aris in all den Jahren für Daw Suu getan hat, in denen er mit den beiden Söhnen in England von ihr abgeschnitten war.

STANDARD: Mit diesem Oxford-Akademiker kommt auch ein Anknüpfungspunkt für das westliche Publikum ins Spiel.

Yeoh: Das stimmt. Das gefällt natürlich den Produzenten. Damit waren alle Elemente eines großen Films da: ein Mann aus dem Westen mit einer schönen, exotischen Frau, große Liebe, politischer Aufruhr. Ein Schauspieler hat Glück, wenn sich eine solche Rolle einmal im Leben ergibt. Es war aber mehr als eine Rolle, es war eine Verpflichtung.

STANDARD: Man würde nicht gerade sofort an Luc Besson als Regisseur für einen solchen Stoff tippen.

Yeoh: Luc Besson ist der beste Freund meiner besseren Hälfte (Ex-Ferrari-Chef Jean Todt, Anm.). Er macht nicht so viele Filme, weil ihn das immer wieder für zu lange Zeit von der Familie fernhält. Luc versteht großes Format und Intimität. Ich halte ihn nicht bloß für einen großen Actionregisseur. Als ich ihm das Buch gab, hoffte ich heimlich, dass er sich in dieses Thema verlieben würde. Denn man kann so einen Film nicht einfach aus professionellem Interesse machen.

STANDARD: Konnten Sie auch mit Aung San Suu Kyi persönlich in Kontakt treten?

Yeoh: Niemand konnte bis vor kurzem mit ihr in Kontakt treten. Das letzte Familienmitglied, das sie sehen konnte, war der jüngere Sohn Kim. Das war nach dem Tod des Vaters im Jahr 1999. Aber in den letzten zehn Jahren war sie vollkommen isoliert: kein Telefon, keine Besuche, nur Ärzte durften zu ihr. Die einzige mögliche Recherche war, mit Leuten zu sprechen, die sie noch in Oxford gekannt hatten. Sie war damals Hausfrau, manchmal erinnerte sich jemand an eine Kleinigkeit. Darüber hinaus sahen wir uns jedes Stück Archivmaterial an.

STANDARD: Auch ein Film über eine reale Person muss Akzente setzen. Welche spielten zwischen Ihnen, Luc Besson und Rebecca Frayn eine besondere Rolle?

Yeoh: Rebecca hat ein tolles Drehbuch geschrieben, aber das Wichtigste sind die ungeschriebenen Momente. Wir haben vor allem darüber nachgedacht, wie man Einsamkeit darstellt, ohne dass es pathetisch wirkt. Das ist für die Inszenierung eine ziemliche Herausforderung, und wir mussten das ja auch ohne den ganzen Aufwand des Kinos drehen, mit dem Luc sonst arbeitet. Ich wollte anfangs auch viel mehr reden im Film, ich wollte, dass Daw Suu sich politisch stärker erklärt. Aber dann begriffen wir, dass es auf die anderen Momente viel mehr ankam, auf die stillen Momente.

STANDARD: Musik kam da sicher gelegen: Die Heldin spielt Piano - ein Motiv der Transzendenz?

Yeoh: Das kam von Luc. Er sah darin ein markantes Detail. Für Daw Suu ist die Musik auch eine Sache der Disziplin. Aus Übung wird eine Form von Meditation. Man sitzt still, stundenlang, übt - das bringt dich auf eine andere Ebene.

STANDARD: Die Machthaber und ihre Schergen begreifen diese Musik nicht. Insgesamt zeigt Besson sie als ziemlich primitive Figuren - sind da die Gegensätze nicht ein wenig zu plakativ?

Yeoh: Aber sie sind so. Wenn Sie Berichte von Than Shwe lesen, dann werden Sie sehen, dass der General ein sehr abergläubischer Mann war. Luc hat sich da noch zurückgehalten. Burma ist eigentlich ein reiches Land, eine Reiskammer. Es braucht also ein großes Maß Dummheit, ein Land so hinunterzuwirtschaften und dann sogar noch die Währung zu ruinieren, nur weil man an abstruse Zahlenmystik glaubt. Wir haben uns selbst gefragt: Wie können wir da mehr Komplexität erzeugen? Aber diese Männer sind nicht komplex.

STANDARD: Sie wurden in Malaysia geboren, werden aber stark mit dem chinesischen Kino assoziiert. Das Verhältnis der Burmesen zu China ist durchaus schwierig - haben Sie vor diesem Hintergrund auch Widerspruch bemerkt?

Yeoh: Bisher habe ich in dieser Richtung nichts mitbekommen. Ich bin als Schauspielerin zum Glück nicht national festgelegt.

STANDARD: In einem Film über Tiananmen könnten Sie aber wohl nicht so ohne weiteres mitspielen?

Yeoh: In China gibt es eine Filmzensur, dort könnte ich wohl keine Dissidentin spielen. Aber ich bin auch kein "politisches Tier" per se, ich wähle meine Rollen, um etwas aus ihnen zu lernen.

STANDARD: Inzwischen ist Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen worden. Wurde daraufhin ein Treffen möglich?

Yeoh: Ich traf sie im Dezember 2010. Wir wollten dieser Frau alle miteinander unseren Respekt bezeugen. Aber alle Visa-Anträge wurden abgelehnt, außer komischerweise meiner. Ich fuhr direkt zu dem Haus, in dessen Nachbildung auf dem Filmset ich davor zwei Monate lang gelebt hatte. Das Treffen hat alles bestätigt, was ich mir von ihr gedacht hatte: Daw Suu ist eine Heldin, eine Ikone, ein guter Mensch. Und das ist das wichtigste.

STANDARD: Wie schätzen Sie die momentane Lage in Burma ein? Gibt es Chancen auf eine weitergehende Öffnung?

Yeoh: Alle beobachten die Situation mit vorsichtigem Optimismus. Ich halte es da eher mit einer positiven, mütterlichen Pädagogik. Man sollte jetzt nicht von den Untaten der Vergangenheit sprechen, sondern nach vorne schauen. Wenn Burma erst einmal herausfindet, welche Vorteile es hat, in der internationalen Gemeinschaft anerkannt zu sein, dann wird sich das nicht mehr leicht zurückdrehen lassen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 7./8./9.42012)