Das Thema Kindergarten berührt Kinder, Eltern, Alleinerziehende, PädagogInnen, Zukunftsforscher, PolitikerInnen, JournalistInnen und viele andere mehr - aber offenbar ist niemand genügend berührt, die derzeitige Lähmung der elementaren Bildung zu diagnostizieren und auch Rehabilitationsmaßnahmen zu ergreifen. Alle nehmen sich dieses Themas an, aber keiner ist wirklich zuständig. Und so schaut dann die Behandlung des für die Zukunft unseres Landes beinahe wichtigsten Bildungsschrittes der Kinder leider auch aus:

Unterschiedlichste Zuständigkeiten, auch in den Medien

Der Kindergarten: ein Thema in Printmedien, Hörfunk, Fernsehen und Neuen Medien - für die Politikredaktion, für die Chronik, für Gesundheit, Erziehung, Frauen und Gender, Familie, Bildung, manchmal sogar für Karriere und Wissenschaft. Ein Thema in vielen Blogs und Facebook-Foren unterschiedlichster Intention.

Spielball zwischen den Körperschaften

Der Kindergarten: ein Thema für neun Bundesländer mit oft zwei verschiedenen Landesräten sowie für die Verbindungsstelle der Bundesländer und den Bundesrat, für acht Bundesministerien mit etlichen Sektionen, für den Nationalrat mit zumindest mehreren Ausschüssen, die einander widersprechende Intentionen haben (siehe zum Beispiel aktuell: Familienausschuss gegen besonderen Ausschuss für die Behandlung des Bildungsvolksbegehrens).

Institutionelle Aufsplitterung erschwert einheitliches Auftreten

2.357 Gemeinden (hiervon 243 Städte) und zwei Gemeindebünde: Bei über 60 Prozent der Kindertagesheime sind öffentliche Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) für die Erhaltung zuständig. Abgesehen von Wien (40,8 Prozent) werden in allen Bundesländern mehr als die Hälfte der Kindergärten durch die öffentliche Hand betrieben. Besonders stark ist diese Dominanz mit 96,6 Prozent in Niederösterreich, aber auch im Burgenland, in Tirol und Vorarlberg haben rund 90 Prozent der Kindergärten einen öffentlichen Träger.

Private als Betreiber: Fast alle staatlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften (rund 30 Prozent werden von kirchlichen Organisationen geführt) und eine große Zahl von Familienorganisationen, gemeinnützigen Vereinen, Betrieben und Privatpersonen (62,2 Prozent werden nicht von religiösen Organisationen geführt) unterhalten Kindertagesstätten. In Kärnten werden mehr als ein Viertel und in Oberösterreich mehr als ein Drittel der Einrichtungen von Kirchen geführt. Vereine agieren bei einem Viertel der Kindergärten in Wien als Träger.

MitarbeiterInnen wenig organisiert

Es gibt mehr als 50.000 MitarbeiterInnen, von der Kindergartenpädagogin (meist sind es ja Frauen) bis zur Helferin oder wie immer die weiteren Mitarbeiterinnen in den verschiedenen Bundesländern genannt werden. Die MitarbeiterInnen in den institutionellen Kindertagesstätten werden - bei geringer gewerkschaftlicher Organisation - von jeweils auf den Arbeitgeber zugeschnittenen Gewerkschaften vertreten, etwa der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten oder der Gewerkschaft der Privatangestellten.

Dem gegenüber stehen hoch engagierte Zusammenschlüsse wie die (theoretisch) neun im Österreichischen Dachverband der Berufsgruppen der Kindergarten- und HortpädagogInnen organisierten privaten Berufsvereinigungen ohne Kollektivvertragsfähigkeit und verschiedene Vernetzungen wie das Kollektiv Kindergartenaufstand.

Rechtliches Chaos - Namens-Wirrwarr

Dazu kommt, dass die Formen "institutioneller Kinderbetreuung" (wie die Einrichtungen für Kinder unter sechs Jahren meist noch immer genannt werden) sich vor allem nach der Altersstruktur der betreuten Kinder in Krippe, Kindergarten, Hort und Kindergruppe unterscheiden, wobei die verwendeten Begriffe in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich sind. Zum Beispiel werden im Burgenland, in Kärnten, der Steiermark und Tirol Einrichtungen für unter Dreijährige Kinderkrippen genannt, in Oberösterreich Krabbelstuben, in Salzburg Krabbelgruppen und in Wien Kleinkindergruppen. In Niederösterreich werden unter Dreijährige in Krabbelstuben, die unter Tagesbetreuungseinrichtungen eingeordnet werden, betreut, in Vorarlberg existiert keine eigene Bezeichnung.

Die rechtlichen Bestimmungen bei der "institutionellen Kinderbetreuung" unterscheiden sich österreichweit in vielen Bereichen nicht nur hinsichtlich Struktur und Inhalt, sondern vor allem in den verwendeten Begriffsbestimmungen. Neben grundlegenden Kinderbetreuungsgesetzen existiert eine unterschiedliche Anzahl begleitender Gesetze, Verordnungen und Richtlinien, in denen Entlohnungsschemata und Anstellungserfordernisse des Personals, Ausstattung der Einrichtungen und die schulische Nachmittagsbetreuung organisiert werden. In den einzelnen Bundesländern gibt es zumindest zwischen acht und drei verschiedene Gesetze, die für die Führung von Kindertagesstätten anzuwenden sind.

Qualifikationsfrage

Sehr ausgeprägt sind die Unterschiede bei den Qualifikationserfordernissen für das Personal, besonders für Hilfskräfte. Sie reichen von keiner besonderen Fachqualifikation in Kärnten, Niederösterreich, Tirol und Wien über erwünschte Ausbildungen in Salzburg und Vorarlberg bis zu 60- bis 300-stündigen Kursen inklusive Praxis in Oberösterreich, dem Burgenland und der Steiermark.

Aufsperrzeiten, Schließzeiten, geöffnete Stunden, Ferienregelungen variieren von Bundesland zu Bundesland. Die Möglichkeit der Begleitung bzw. der Mitwirkung bei Veranstaltungen durch die Eltern wird überhaupt nur im Burgenland, in der Steiermark und in Vorarlberg explizit erwähnt.

Rascher Ausbau von Kindergartenplätzen

Eine österreichweite Arbeitsgemeinschaft will dieser Zersplitterung entgegenwirken: In der Plattform EduCare haben sich VertreterInnen von Institutionen, Interessengemeinschaften und Trägerorganisationen sowie ExpertInnen aus dem elementaren Bildungsbereich freiwillig zusammengeschlossen. Herkunft, Ideologie, Partei, Konfession, pädagogische Lehrmeinung und Schule sowie Trägerorganisationen spielen darin keine trennende Rolle, sondern sind wertvolle Grundlage gegenseitigen Gedankenaustausches.

Die derzeitige Bundesregierung - unter der Federführung von Bundesminsterin Schmied und Staatssekretärin Marek - begann 2008 mit der Umsetzung jener Maßnahmen, die auf EU-Ebene zum quantitativen und qualitativen Ausbau der elementaren Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen festgelegt und von Österreich ratifiziert worden sind: dem raschen Ausbau von Kindergartenplätzen zur besseren Vereinbarung von Familie und Beruf und der bundesweiten Festlegung von Bildungsaufgaben für den Kindergarten.

Eingliederung des elementaren Bildungsbereichs in das Bildungsressort

Es wurden die verpflichtende Sprachförderung, das verpflichtende Kindergartenjahr und ein bundesweit gültiger Bildungs-Rahmenplan zwischen Bund und Ländern vereinbart. Meilensteine in der österreichischen Bildungspolitik.

Der Ruf nach einer Qualitätsoffensive wurde immer lauter: nach bundesweit einheitlichen und guten Bedingungen für Eltern, Kinder, PädagogInnen und Trägervereinen und nach der Eingliederung des elementaren Bildungsbereichs in das Bildungsressort.

Handlungsbedarf hinsichtlich der Qualität

Alle ExpertInnen und PraktikerInnen sind sich darüber einig, dass dringender Handlungsbedarf in der Qualität der Tagesstätten besteht. Die Regierung selbst postuliert in ihrer Strategie zum lebensbegleitenden Lernen "LLL:2020" in Österreich die Verabschiedung eines Bundesrahmengesetzes für Kindergärten zur Sicherstellung qualitativer Mindeststandards bei der frühen Förderung bis 2014.

Nur: Es tut sich wenig bis nichts - außer schönen Worten und vielen Versprechungen. Angst vor der eigenen Courage?

Offensichtlich handelt es sich um eine "Querschnittsmaterie", die offenbar niemanden genügend berührt, die Lähmung der elementaren Bildung nicht nur zu diagnostizieren, sondern Rehabilitationsmaßnahmen zu ergreifen. (Leserkommentar, Johannes-Maria Lex, derStandard.at, 6.4.2012)