Betrifft: "Zu kurz gegriffen" von Gerald John - und andere Beiträge zur aktuellen Integrationspolitik (DER STANDARD, 4.4.2012)
Gerald John schreibt in obzitiertem Kommentar einen bemerkenswerten Satz: "Viele Jugendliche sprechen schlecht Deutsch, weil zuhause nur die Muttersprache üblich ist." Und legt im nächsten noch eins drauf: "Oft sind die Eltern, selbst einfache Leute, nicht wirklich dahinter, dass die Sprösslinge etwas lernen" weil, wie er sagt, "die alte Zuwanderergeneration ihr niedriges Bildungsniveau vielfach weitergibt.
"Es ist hier nicht der Platz, auf die zahllosen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, in denen billige Arbeitskräfte ins Land geholt wurden, und auf die Rückkehr des Krieges nach Europa, der zu großen Migrationsbewegungen geführt hat, im Einzelnen einzugehen. Es stellt sich aber die Frage, warum zum Beispiel nicht einfach den Hergekommenen, in den ersten zwei, drei Jahren, während der Arbeitszeit für eine Stunde die Sprache der Hiesigen beigebracht wurde. Man hat ihnen durch die Trennung von der eigenen Sprache die Möglichkeit genommen, diese zu vervollkommnen, und sie bei der Aneignung der hiesigen Sprache sich selbst überlassen.
So wurden die Hergekommenen zunehmend isoliert und in den Kreis zurückgeworfen, in dem sie wenigstens noch annehmen konnten, dass sie Möglichkeiten der Verständigung haben (siehe auch die in der nämlichen Ausgabe publizierte Buchrezension zum Thema, wo die Funktion des Vorurteils treffend beschrieben ist). Und es darf auch gefragt werden: Warum hat denn beispielsweise der DER STANDARD nicht (und das gilt für alle anderen Medien genauso - Untertitelungen sind schließlich heutzutage auch im Fernsehen kein Problem) eine Seite eingeführt, auf der die wichtigsten Informationen auch in den wichtigsten Sprachen der Hergekommenen zusammengefasst werden, ihnen damit der Zugang zu den gesellschaftlich und gewerkschaftlich wichtigen Fragen und eine Einbindung ins gesellschaftspolitische Leben ermöglicht?
Diese Frage ist natürlich auch in erster Linie an die Gewerkschaften zu richten, die sich dahingehend als bedeutender Faktor nicht-integrativen Verhaltens einen Namen gemacht haben. Ähnlich wie der Kommentator im Standard verhalten sich Vertreter autochthoner Minderheiten in Österreich, wenn sie feststellen, dass Gefahr bestehe, dass die Minderheiten "zu einem Teil der Zivilgesellschaft werden und der 'völkische Aspekt' der Minderheiten beseitigt wird", wie in der "Kleinen Zeitung" vom 9. März der Präsident des Volksgruppenzentrums zitiert wird. So ein Zugang führt aber zwangsläufig zur Überhöhung des Chauvinismus der Hiesigen, denen das Verhaltensprinzip "Teile und herrsche" in ihrem eigenen Überlebenskampf in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint. Was schlussendlich dazu geführt hat, dass die Solidarität gegenüber anderen auf der Strecke geblieben ist. Auf Seite zwei derselben Ausgabe des Standard ist aber auch ein wunderbares Gespräch mit Kenan Güngör abgedruckt, der es auf den Punkt bringt: "Es muss künftig auch um Integration durch Respekt gehen. Für Österreich mit seinem abwertenden, oft gehässigen Diskurs ist das besonders wichtig."
Schon im Jahr 2006, als wir auf der Internetplattform "proKärnten/zaKoros ko" für zweisprachige Ortstafeln 45.000 Unterschriften sammelten, stellten wir fest:
"Europa ist bestrebt, allen Kulturen und Sprachen Gleichberechtigung und Akzeptanz angedeihen zu lassen, und nimmt erstmals in der Geschichte die Chance wahr, Versäumtes gutzumachen; es will mit sämtlichen Kulturen auf gleicher Augenhöhe in die Zukunft gehen." Und weiter: "Wir wollen, dass die Menschen in Österreich und Europa die verschiedenen Kulturen und Sprachen als Bereicherung sehen und sich nicht wieder eine Kultur, eine Sprache über andere erhebt." (www.prokaernten.at)
Drum frage ich mich: Wer greift hier zu kurz? (Lojze Wieser, DER STANDARD, 6.4.2012)