Innsbruck - Für die Innsbrucker Freiheitlichen sind marokkanische Migranten ein großes Sicherheitsproblem und damit Thema im aktuellen Gemeindewahlkampf. Für die Polizei sind sie eine Gruppe, die strategisch überwacht werden muss. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sprechen von "Illegalisierten ohne Chancen", halten die Diskussion für aufgebauscht.

"Das ist eine Sache der Betrachtungsweise", sagt der Innsbrucker Polizeidirektor Gerhard Ditz. Tatsache sei, dass "sich etliche Marokkaner in der Stadt mit dem Handel von Suchtmitteln beschäftigten". Vorwiegend würde mit Cannabis und Marihuana gehandelt, "härtere Drogen sind selten". Tatsache sei aber auch, dass die Polizei erfolgreich gegen diese Gruppe vorgehe.

"Wir machen ihnen den Handel so schwierig wie möglich", bestätigt Martin Kirchler, Kommandant der Stadtpolizei. Kirchler beschreibt eine "lose organisierte Gruppe von 30, 40 Männern, manchmal bis zu 80". Es handle sich um junge Männer, "die alle Möglichkeiten des Rechtsstaats nützen und gezielt hierhergekommen sind, um ihren Geschäften nachzugehen". Der Polizist zitiert aus der Statistik: 1013 Suchtgiftanzeigen gegen marokkanische Staatsbürger in drei Jahren, 155 Anzeigen, die zu Untersuchungshaft führten, 115 Einlieferungen in die Justizanstalt, Sicherstellung von 46,5 Kilogramm Cannabis.

Gewalt nur innerhalb der Gruppe

Die FP bezichtigte die nordafrikanischen Einwanderer als Diebe. In der Polizeistatistik scheinen für 2010 53 Ladendiebstähle und 23 Taschendiebstähle auf. Gewaltdelikte gäbe es, sagt Kirchler "innerhalb der Gruppe, aber fast nie gegen Außenstehende". Für das "subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung" sorgt eine eigens eingerichtete Ermittlungsgruppe zur "ständigen Beobachtung" (Kirchler). Der Großteil der Kleindealer sei illegal in Innsbruck, sagt Kirchler, "nur in Einzelfällen ist eine Abschiebung möglich".

Marokko habe kein großes Interesse, Menschen, die Schwierigkeiten gemacht haben, zurückzunehmen, bestätigt Drogenkoordinator Christof Gstrein, der bis vor kurzem im Rahmen der Jugendwohlfahrt minderjährige Flüchtlinge betreute. Zusammen mit dem aus Senegal stammenden Sozialarbeiter Mor Dieye kümmerte er sich um die Nordafrikaner.

In Innsbruck gestrandet

Gstrein quantifiziert die Gruppe auf 30 bis 40 Menschen, "ein Teil davon sind frühere Straßenkinder aus Casablanca, die sich hier eine bessere Zukunft erwartet haben". Die Spirale habe sich jedoch für sie nach unten gedreht. Nur einige wenige bekommen Asyl, 80 bis 90 Prozent der Asylanträge würden abgelehnt. Die Konsequenz: "Null Chancen auf einen Zugang zum Arbeitsmarkt, nicht einmal Saisonarbeit. Ab und zu vielleicht Schwarzarbeit. Wenn sie keine Möglichkeiten mehr sehen, geraten sie immer stärker in den Drogenhandel." Für "Illegalisierte" fühle sich niemand verantwortlich, kritisiert Helmut Kunwald, Berater bei der Wohnungslosen-Organisation Dowas. Sie bekämen keine Unterstützung, keine Mindestsicherung. "Es gibt Menschen in Innsbruck, in Tirol, die übrigbleiben, weil sie keine Rechte geltend machen können." Man hoffe, dass sie verschwinden. Eine der Vertreibungsstrategien sei die Hetzkampagne im aktuellen Wahlkampf.

Hilfestellung leisten Jugendwohlfahrt und NGOs mit niederschwelligen Angeboten wie Meldeadressen, regelmäßigen Treffen in einem Jugendhaus, Duschmöglichkeiten. "Das ist aber Stückwerk", sagt Gstrein. Für ein Beschäftigungsprojekt, das ein Experten-Arbeitskreis entwickelt hat, fehlt das Geld. Gstrein: "Der finanzielle Wille zur Finanzierung ist bis jetzt nicht da." (Jutta Berger, DER STANDARD, 5.4.2012)