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Massive Kritik hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass für sein Israel-kritisches Gedicht "Was gesagt werden muss" (s.u.) auf sich gezogen.

Foto: REUTERS/Christian Charisius

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München - Der deutsche Literaturnobelpreisträger Günter Grass (84) warnt in einem Gedicht vor einem Krieg gegen den Iran und hat damit scharfe Kritik ausgelöst. In dem am Mittwoch in der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichten Text mit dem Titel "Was gesagt werden muss" fordert der Schriftsteller, Israel dürfe keine deutschen U-Boote mehr bekommen.

In dem Gedicht heißt es unter anderem:

"Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden"
zu tilgen wäre. (...)

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird."

Übersetzung und Kritik in "La Repubblica"

Die linksliberale römische Tageszeitung "La Repubblica" hat das Gedicht in italienischer Übersetzung gedruckt und gleichzeitig kritisiert. Unter der Überschrift "Manifest in Versen gegen Israel" geht die Zeitung auf zwei Seiten auf das Gedicht ("Quello che deve essere detto") ein. Ergänzt durch eine kritische Analyse zeigt sie in Fotos den Pfeife rauchenden Grass, den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad in einer iranischen Atomanlage sowie das israelische Unterseeboot Dolphin.

"Günter Grass tritt wieder auf den Plan", heißt es in der Analyse der Zeitung. "Und er tut dies mit einem lyrischen Text, der dazu bestimmt ist, einen Streit auszulösen. (...) Das Ergebnis seines Gedichts besteht allein darin, ein konfuses Rauschen zu erzeugen, eine unmögliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, eine unglaubwürdige Verdrängung jener Bedrohung, die das Regime in Teheran für Jerusalem darstellt." In diesem Konflikt sei das Schweigen Europas ohrenbetäubend. "Es wird jedoch kein Gedicht sein, das Europa aus dieser Ecke herausholt. Und sicherlich nicht dieses Gedicht."

Kritik aus Deutschland

Kritik an Grass kommt indessen auch aus Deutschland. "Das Gedicht gefällt mir nicht", merkete etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Ruprecht Polenz (CDU), gegenüber der "Mitteldeutschen Zeitung"  an. "Günter Grass ist ein großer Schriftsteller. Aber immer, wenn er sich zur Politik äußert, hat er Schwierigkeiten und liegt meist daneben. Diesmal liegt er gründlich daneben."  Die einseitige Schuldzuweisung an Israel sei falsch. "Das Land, das uns Sorgen bereitet, ist der Iran. Davon lenkt sein Gedicht ab. Grass verwechselt Ursache und Wirkung. Er stellt die Dinge auf den Kopf", sagte Polenz.

Der Publizist Henryk M. Broder nannte Grass in einem Artikel in der Zeitung "Die Welt" den "Prototypen des gepflegten Antisemiten, der es mit den Juden gut meint", aber von Schuld- und Schamgefühlen verfolgt und vom dem Wunsch getrieben werde, "Geschichte zu verrechnen".

"Aggressives Pamphlet der Agitation"

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte die Äußerungen von Grass scharf. Der in mehreren Zeitungen erschienene Text sei "ein aggressives Pamphlet der Agitation", sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann am Mittwoch.

Es sei traurig, dass Grass sich in dieser Form zu Wort melde und Israel dämonisiere, so Graumann. Der Text sei unverantwortlich und eine Verdrehung der Tatsachen. Nicht Israel, sondern der Iran bedrohe den Frieden. Das Mullah-Regime unterdrücke die eigene Bevölkerung und finanziere den internationalen Terrorismus. "Ein hervorragender Autor ist noch lange kein hervorragender Analyst der Nahost-Politik", fügte Graumann hinzu.

Ralph Giordano "erschüttert"

Der Publizist Ralph Giordano (89) sprach von einem "Anschlag auf Israels Existenz". "Selten hat mich etwas so erschüttert", schrieb Giordano am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa. Mit seiner einseitigen Anklage stelle Grass die Dinge auf den Kopf. "Diese Umkehrung der Tatsachen, wer hier wen bedroht, trifft mich persönlich besonders tief, weil sie aus dem Munde von Günter Grass kommt. Als die Welt über ihn herfiel, weil er als Achtzehnjähriger bei der Waffen-SS war (und das lange verschwiegen hat), habe ich ihn verteidigt."

Umso enttäuschter sei er, dass Grass Israel nun als den eigentlichen Friedensstörer im Nahen Osten hinstelle. "Ich setze dieser Ungeheuerlichkeit mein Credo entgegen: Mit diesem hochgefährdeten Land fühle ich mich unlösbar verbunden." Er sei überzeugt von der Überlebensfähigkeit Israels. "Nie aber waren Unruhe und Sorge berechtigter als heute, und nie Juden gefährdeter als dort, wo sie sich am sichersten glaubten. Günter Grass' Poem ist ein Anschlag auf Israels Existenz."

Präsident der Akademie der Künste verteidigt Grass

Grass in Schutz genommen hat indessen der Präsident der deutschen Akademie der Künste, Klaus Staeck: "Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden", sagte Staeck der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" vom Donnerstag. "Die reflexhaften Verurteilungen als Antisemit finde ich nicht angemessen." Grass habe "das Recht auf Meinungsfreiheit auf seiner Seite" und nur "seiner Sorge Ausdruck verliehen". Diese Sorge teile er "mit einer ganzen Menge Menschen".

Weitere Stellungnahmen

"Er soll ernst nehmen, dass Israel in seiner Existenz, auch wenn es militärisch sehr stark ist, vom Iran mindestens verbal angegriffen wird." (Publizist Micha Brumlik im SWR2-"Journal am Mittag")

"Das Gedicht ist geschmacklos, unhistorisch und zeugt von Unkenntnis der Situation im Nahen Osten." (Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, zum "Kölner Stadt-Anzeiger")

"Ich bin über die Tonlage, über die Ausrichtung dieses Gedichtes entsetzt." (CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe)

"Ich schätze Günter Grass sehr, aber das Gedicht empfinde ich vor dem Hintergrund der politischen Lage im Nahen Osten als irritierend und unangemessen." (SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles Nahles zu "Spiegel Online")

"Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen." (Der Gesandte Emmanuel Nahshon der israelischen Botschaft in Deutschland in Berlin.)

"Man muss die aktuelle israelische Regierung vor einem unüberlegten Militärschlag gegen den Iran warnen. Denunzieren muss man den israelischen Staat dafür nicht." (Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, zur Zeitung "Die Welt")

"Wie krank ist die Argumentation, er habe über Jahrzehnte schweigen müssen, um nun endlich der Welt zu erklären, der jüdische Staat ist die größte Bedrohung für die Menschheit?" (Publizist Michel Friedman zur "Bild"-Zeitung)

"Günter Grass hat Recht." (Der Linke-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke)

"Das ist ein Gedicht und kein politischer Beitrag." (Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag zu "Spiegel Online")

(APA/red, derStandard.at, 5.4.2012)