Weinviertel als Energieviertel, da hat sich was getan: Immer öfter steht heute neben einer Ölpumpe ein Windrad - Frühlingsblumen einer Energiewende.

Foto: Rudolf Skarics

Es gibt, touristisch gesehen, einige weiße Flecken in Österreich, einer davon ist das rechte obere Eck des Alpenlandes. Zwischen Brünnerstraße im Westen und dem Grenzfluss March hin zur Slowakei im Osten erstreckt sich sozusagen der Wilde Osten Österreichs, einst eine Goldgräberregion, was das Schwarze Gold betrifft.

Heute könnte man schlicht Energieviertel sagen. Wer weiß schon, dass Österreich die größten Erdölvorkommen auf dem europäischen Festland besitzt und sich zu einem nicht unbedeutenden Teil mit eigenem Erdgas versorgen kann? Dort, östlich und nordöstlich von Wien, konzentriert sich der größte Teil davon. Jeweils rund 15 Prozent des Erdöl- und Erdgasverbrauchs deckt Österreich aus eigenen Quellen. Und das sieht man dieser Landschaft auch an. Hunderte Ölpumpen nicken bedächtig vor sich hin und zuzeln den wertvollen Saft aus der Tiefe.

Guten Verkehrsverbindungen nach Wien, öffentlich wie auch automobil, ist es zu verdanken, dass die Region nicht längst völlig menschenleer ist. Die Landwirtschaft ist in der sanft hügeligen bis ebenen Landschaft so großflächig angelegt wie sonst nirgends in Österreich, und im Mai zieht sich der blühende Raps wie ein Teppich übers Land, selten unterbrochen, und dann meist durch Weingärten. In den vergangenen Jahren hat sich eine neue Dimension der Energiegewinnung eröffnet. Immer öfter steht neben einer Ölpumpe ein Windrad. 

Abenteurer, Dreck und Krisen

In den 1920er-Jahren kamen Abenteurer, die zuvor schon weiter östlich im damals österreichischen Galizien Öl gefunden hatten, hierher und bohrten danach, und fanden es auch, und machten ihre Geschäfte. Die Bevölkerung vor Ort hatte nie viel davon außer den Dreck. Dann kam der Hitler und beutete die Region aus, nach dem Zweiten Weltkrieg folgte die Sowjetbesatzung und zog große Mengen Öl aus dem Boden und verbuchte den Wert als Reparationszahlungen. Nach etwa zehn Jahren zogen die Sowjets ab und nahmen gleich das Werkzeug mit.

Dann muss alles ziemlich devastiert ausgesehen haben. Mitte der 1950er-Jahre haben mehrere Unternehmen begonnen, die Erdölförderung wiederzubeleben, allen voran die bekannte OMV, die neben der weniger bekannten RAG (Rohölaufsuchungsgesellschaft) heute noch emsig tätig ist. Die Sechziger- und Siebziger- und auch noch die Achtzigerjahre dürften für die Menschen in der Region rosig ausgesehen haben.

Die beiden Ölkrisen führten den hohen Wert eigener Ölvorkommen vor Augen, nicht nur in der Abrechnung, weil sich das Fördern wieder lohnte, sondern auch als strategische Dimension. Der Ort Neusiedl an der Zaya, in dem die Bohrtürme am dichtesten standen, bekam als eine der ersten Gemeinden Österreichs ein eigenes Hallenbad; hatte dreitausend Einwohner, von denen ein überwiegender Teil vom Erdöl lebte.

Das Hallenbad ist inzwischen wieder weg, genauso wie der bizarre Wald an Öltürmen. Die Einwohnerzahl hat sich mehr als halbiert, kaum jemand arbeitet noch im Ölgeschäft. Dafür schießen die Windräder aus dem Boden wie die Frühlingsblumen einer herbeigesehnten Energiewende. Aber ganz so schnell wird das nicht gehen. Etwas weiter südlich werden immer wieder neue Erdgasvorkommen erschlossen, und die OMV möchte auch sogenanntes Schiefergas fördern, eine Absicht, die, abgesehen von dramatischen unmittelbaren negativen Auswirkungen für die Umwelt, bei aller Wertschätzung für die Sicherung der Energieversorgung, so gar nicht zur Absicht passt, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. (Rudolf Skarics, Rondo, DER STANDARD, 14.4.2012)