Die öffentlichen Verkehrsmittel in Wien bleiben kostenpflichtig.

Foto: Wiener Linien

Als erste europäische Hauptstadt bietet Tallinn die öffentlichen Verkehrsmittel zum Nulltarif an. Was unter dem Titel "Gratis-Öffis" durch die Medien ging, ist aber gar nicht für alle kostenlos. Nur registrierte Einwohner der Stadt dürfen die öffentlichen Verkehrsmittel gratis nutzen. Alle anderen zahlen weiterhin den Einzelticketfahrschein zu 1,60 Euro. 

Für Wien allerdings wünscht sich die Piratenpartei Österreich in ihrem (noch nicht beschlossenen) Programm eine "fahrscheinlose Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)". Das würde bedeuten, dass die Öffis für alle Menschen kostenlos werden würden: "Wir wollen mittelfristig eine unentgeltliche Nutzung des ÖPNV einführen, um das soziale Recht der Mobilität vom Einkommen des Einzelnen abzukoppeln", schreibt Rene Dyma von der Partei. Dadurch soll schlussendlich auch der Autoverkehr eingedämmt werden, denn "weniger Individualverkehr bedeutet weniger Lärm und weniger Emissionen", so die Piraten.

Überfüllte Parkhäuser

Für Harald Frey vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien sind kostenlose Öffis allerdings nicht zielführend: "Es gibt bereits seit den frühen 90er-Jahren Untersuchungen, dass kostenlose öffentliche Verkehrsmittel nicht die Autofahrer von der Straße holen." Vielmehr würden Radfahrer und Fußgänger die Öffis dann auch für kurze Strecken nutzen. Außerdem befürchtet Frey eine Überlastung der Parkhäuser rund um Wien: "Wenn auch die Pendler aus Niederösterreich den öffentlichen Verkehr gratis nutzen können, werden nahezu alle ihr Auto vor der Stadt parken wollen." Das würde bedeuten, dass mehr Parkhäuser und -plätze im Umland geschaffen werden müssten.

Außerdem kann man laut Frey das Öffi-System von Tallinn oder der belgischen Stadt Hasselt, die bereits seit 1997 keine Fahrpreise für die öffentlichen Verkehrsmittel einhebt, nicht mit einer Großstadt wie Wien vergleichen: Diese hätten weniger Fahrgäste und ein schlechter ausgebautes Öffi-Netz. In Tallinn und Hasselt habe man durch den Nulltarif den öffentlichen Verkehr für die Menschen überhaupt erst attraktiv machen wollen. "In Wien steigen die Fahrgastzahlen trotz vorhandener Ticketpreise", sagt Frey.

"Öffentlicher Verkehr kostet Geld"

Um den motorisierten Individualverkehr einzudämmen, empfiehlt Frey die Vorgehensweise der Stadt Wien: "Parkpickerl sind sicher ein effektives Mittel, damit die Leute auf den öffentlichen Verkehr umsteigen." Um etwas zu bewegen, müssten bei beiden Themen die Schrauben angesetzt werden. Ändert man also etwas am öffentlichen Verkehr, müsse das auf Kosten des Autoverkehrs passieren.

Die Wiener Linien lehnen die Gratis-Öffis ebenfalls ab: "Öffentlicher Verkehr kostet Geld", sagt deren Sprecher Dominik Gries. Schließlich müssten Gehälter, Stromrechnungen und die Lieferung neuer Bahnen und Busse bezahlt werden. Aus Ticketverkäufen und anderen Erlösen würden die Wiener Linien zurzeit etwa 400 Millionen Euro lukrieren. "Sollte es kostenlose Öffis geben, dann müsste sich der finanzielle Beitrag der Stadt verdreifachen", sagt Gries.

Im Mai tritt außerdem die Tarifänderung der Wiener Linien in Kraft. Dann kostet die Jahreskarte nur noch 365 Euro (375 Euro bei Ratenzahlung). Schon jetzt kann die verbilligte Karte gekauft werden, von der Frey der Meinung ist, dass "sie im internationalen Vergleich sehr günstig ist" und preistechnisch "eigentlich Luft nach oben" wäre. Studien würden zeigen, dass die Fahrgastzahlen trotz höherer Fahrpreise konstant bleiben würden. (Bianca Blei, derStandard.at, 4.4.2012)