Das muss man erst einmal schaffen: Piraten.

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Piloten ist nichts verboten", heißt es in dem von Hans Albers gesungenen Fliegerlied. "Drum gib Vollgas und flieg um die Welt." Wie schade eigentlich, dass sich auf "Piraten", dieses Produkt aus den unbegrenzten Freiräumen der globalisierten Kommunikation, nichts ähnlich Werbespruchtauglisches reimt. Dann würde vielleicht der von manchen als " negativ besetzt" beklagte Parteiname besser "abheben". Bzw. noch besser, denn die Piraten sind auch so schon längst als werbefähige Marke etabliert, obwohl noch gar nicht genau auszumachen ist, wofür diese denn nun eigentlich stehen soll.

Offensichtlich ist immerhin, dass es sich bei den Piraten und ihren Wählern nicht um Menschen handelt, die keine festen Regeln wollen - sie wollen dieses Regelwerk nur gerne selber machen und sich damit die Möglichkeit offen halten, es von Fall zu Fall auch unterschiedlich auszulegen und anzuwenden. "Mit uns", sagt die Geschäftsführerin der deutschen Piraten, "wird man sich nie auf eine Mehrheit verlassen können." - Klingt ja durchaus innovativ, wenn damit eine Absage an den Fraktionszwang, an jeglichen Parteiapparat gemeint ist. Wie das aber mit einem von vornherein unverlässlichen Partner in der politischen Arbeit gehen und wie man auch den eigenen Wählern im Wort bleiben soll, ist alles noch ziemlich unklar.

Von allem ein bisschen

Ob daraus wirklich ein politisches Modell erwachsen kann, ist eine spannende Frage. Dass auch ein gesellschaftliches Modell daraus werden könnte, ist schon eher greifbar: nach Postfaschismus, 68er- und Ökobewegung, nach Spaßgesellschaft und Neoliberalismus nun vielleicht eines, das von allem ein bisschen bietet: sozial, liberal, informationsbewusst, möglichst frei ... Wobei die, die sich Piraten nennen, offenbar selber auch noch nicht so genau wissen, was sie unter frei und liberal verstehen sollen. Liberal ist ja ein schönes Wort, aber in der politischen Praxis ein ebenso vager wie manchmal auch problematischer Begriff.

Kurzum: Man mag den Piraten durchaus zu recht vorwerfen, dass ihr Programm fiktional oder jedenfalls ziemlich verschwommen ist. Doch die Konturlosigkeit wurde ihnen von den ehemaligen Großparteien in Österreich ja lange genug vorgelebt, indem diese immer mehr von ihrer Gesinnung abgebaut haben. Schon zu Kreiskys Zeiten wurde der Pragmatismus gefeiert - aber zumindest in Restbeständen gab's da noch so etwas wie ein Parteiprogramm und "Prinzipien". Im Gegensatz dazu hat der Faymann'sche Pragmatismus nicht einmal mehr die Qualität hat, zu klären, was "Sache" ist.

Wenn die Piraten nun beweisen, dass es das eindeutige Rechts-links-Schema im Parteienspektrum nicht mehr gibt, dann tragen schließlich jene Schuld, die sich statt dem Ideenkampf dem Populismus verschrieben haben. Zwar wird noch redlich zwischen Rechts- und Linkspopulismus unterschieden, doch unterm Strich bleibt einfach: Populismus, weil die Schnittmenge schon zu groß ist. Würde die FPÖ in ihrem Populismus nicht immer noch krause Deutschtümelei mit herumschleppen, es bliebe wenig Unterschied zur "Gerechtigkeits"-PR der gegenwärtigen SPÖ. Worthülsen haben kein Mascherl. So wenig wie Parteispenden, die wiederum vornehmlich die "Bürgerlichen" - und mit ihnen vielleicht das ganze politische System - in den Abgrund zu ziehen drohen.

In ihrer augenblicklichen Verfasstheit sollte es die etablierten Parteien also wahrlich nicht befremden, wenn nun eine Protestbewegung daherkommt, der -nebstbei ausgerechnet von den Statthaltern dieses Systems - Konzeptlosigkeit nachgesagt wird.

Befremdlich ist daran allenfalls das erstaunliche Wählerpotenzial dieser Bewegung - offenbar auch in Österreich: In Waidhofen/Ybbs gelang kürzlich einer piratenartigen Protestliste mit zwei Mandaten spontan der Einzug in den Gemeinderat. Die Gruppierung, die sich FUFU nennt (Farblose Unabhängige Formierte Uniformierte), war mit keinem Programm, aber mit viel Freibier angetreten. Im Fernsehinterview nach der Wahl war sich ihr Sprecher - in schwarzer, mit Goldbrokat verzierter Phantasieuniform - zwar nicht seiner, aber der Verantwortung der Politik durchaus bewusst: "Was ist da los", fragte er, "wenn solche Leute wie ich in den Gemeinderat einziehen? Da muss irgendwo was schieflaufen, oder?"

Ja, muss es. 5,7 Prozent Wähleranteil, und zwar auf Anhieb, muss man erst einmal schaffen. Zum Vergleich dazu: Die Grünen kamen auf 4,2 Prozent.

Sind die Grünen bei jungen Menschen auf einmal so unattraktiv? "Die Grünen sind eine bevormundende Partei", sagt die Geschäftsführerin der deutschen Piraten. Im Gegensatz zu ihnen würden die Piraten deutlich machen, dass es einen "richtigen" Weg in der Gesellschaft nicht gäbe. Liegen die Grünen also falsch? Im gegenwärtigen Österreich sind sie die einzige Partei, die nicht korrupt ist, Prinzipien hat und diese ernsthaft vertritt. Trotzdem drohen auch die Grünen Opfer des bestehenden Systems zu werden. Wenn die traditionellen Parteien, die das Land beherrschen, nämlich vorführen, dass es auch prinzipienlos auch geht, warum dann nicht gleich auch inhaltslos?, könnte man fragen.

Doch halt: das trifft auf die Piraten ja gar nicht zu. Sie stehen zumindest für "etwas", was mit neuen Lebensrealitäten korrespondiert, die bei den traditionellen Parteien offenbar noch nicht angekommen sind. Was die Piraten attraktiv macht, ist zweifellos, dass sie scheinbar völlig uneigennützig auftreten. Zumindest werben sie mit dem Ziel, sich selbst überflüssig zu machen. Nur: Was hat man sich unter diesem Idealzustand vorzustellen? Und: Wer oder was verhindert unterdessen das Abgleiten in die totale Beliebigkeit? - Da muss irgendwo was schieflaufen." (Gerhard Zeillinger, DER STANDARD, 4.4.2012)