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Daueraufreger Gackerl - auch in der Wiener Charta

Foto: Arno Burgi dpa/lbn

Die Stadt Wien ist seit Montag mit der Auswertung von 1.848 Vorschlägen zur Verbesserung des Zusammenlebens in der Stadt beschäftigt. So viele Beiträge haben die Wiener in den vergangenen zwei Wochen für die Online-Plattform "Wiener Charta" verfasst. Das Rathaus ist mit der Beteiligungsquote zufrieden, obwohl nur rund ein Tausendstel der Bevölkerung teilgenommen hat.

Nachbarschaft ein wichtiges Anliegen

Noch bis zum 13. April wertet ein unabhängiger Beirat die Beiträge aus und fasst sie in Themenblöcke zusammen. Doch bereits beim Überfliegen der 1.848 Postings tauchen gewisse Themen auf, die stark polarisieren. Am meisten erregt die Gemüter das Verhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln: Ausspucken, Telefonieren, das Liegenlassen von Abfall sowie lautes Musikhören böten großen Anlass zum Raunzen, sagte Projektleiterin Ursula Struppe vorab.

Aber auch die Nachbarschaft empfinden viele Wiener als verbesserungsfähig. In diesem Bereich gehe es aber um mehr als nur Respekt, so Struppe. Man wolle auch gegrüßt werden oder wenigstens die Namen der Hausbewohner kennen. Auch Themen, die sich im weitesten Sinn mit Integration und Toleranz beschäftigen, wurden oft genannt, wobei die gemeinsame Sprache Deutsch stets ein strittiges Thema ist.

Delikt: Essen in der U-Bahn

Das Hundegackerl erhielt wenig überraschend ebenfalls große Aufmerksamkeit. Überraschend hingegen war für die Projektleiterin nur, wie viele sich hitzig über das Thema "Essen in der U-Bahn" auslassen konnten. Die gesammelten Themen werden am 13. April von einem sechsköpfigen Beirat der Öffentlichkeit  präsentiert. Dieses - laut rot-grüner Stadtregierung - unabhängige Gremium ist derzeit damit beschäftigt, die Online-Inputs der Bürger zu weitgefassten Themenblöcken zusammenzuführen.

Mit der Präsentation dieser inhaltlichen Cluster Ende kommender Woche stellt sich auch der Beirat selbst vor. Politiker würden diesem nicht angehören, wird im Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) betont. Vielmehr kämen die Mitglieder mit unterschiedlichem beruflichen Hintergrund aus der Praxis. Projektleiterin Struppe erwartet, dass das Ergebnis keinen Grund zur Sorge bereiten werde. Sollte allerdings herauskommen, "dass die Wiener generell kinderfeindlich und intolerant sind, gehört das auch zum öffentlichen Prozess, den man zulassen muss". Die Resultate der Online-Erhebung werden dann in Gesprächsrunden mit Vereinen, Firmen, Institutionen und weiteren Bürgern zu einer endgültigen Charta ausgearbeitet. 

Hohe Netiquette-Kultur

Für jedes Gespräch stellt die Stadt zwei Moderatoren zur Verfügung. Sie sind für die Protokollierung der Debatten und für die anschließende Veröffentlichung im Netz zuständig. Stattfinden können die Treffen an jedem Ort - vom Wirtshaus über die Betriebskantine bis zum Friseursalon. Mitte Oktober endet die Gesprächsphase. Dieser folgt dann eine nochmalige Diskussion der Ergebnisse im Internet. Ende November soll die Wiener Charta schließlich in ihrer Endform präsentiert werden.

In der Online-Charta habe das Miteinander jedenfalls bis auf Einzelfälle, wo es zu rassistischen oder diskriminierenden Aussagen gekommen sei, funktioniert. Struppe spricht von einer hohen Kultur der Netiquette. Allerdings seien viele Beiträge gelöscht worden, weil die Bürger das Forum immer wieder genutzt hätten, um sich über Politik oder Verwaltung zu beschweren - und das sei nicht Ziel der Charta. Es solle vielmehr eine Art Leitbild für das Zusammenleben in der Stadt entstehen, das nicht durch Gesetze reguliert werde. (Maria von Usslar/APA, derStandard.at, 4.4.2012)