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Mit 1. April ist in Österreich die Vorratsdatenspeicherung in Kraft getreten.

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Stellt die Vorratsdatenspeicherung Bürger unter Generalverdacht? Liest die Polizei bei E-Mails mit? Und wie kann man den Behördern ein Schnippchen schlagen? DER STANDARD hat die Antworten zusammengefasst.

Frage: Was verbirgt sich hinter der Vorratsdatenspeicherung?

Antwort: Seit April müssen Anbieter von Telekomdiensten die Kommunikationsdaten ihrer Kunden für mindestens ein halbes Jahr speichern - ob diese nun per Festnetz und Handy telefonieren, E-Mails und SMS verschicken oder im Internet surfen.

Frage: Wer interessiert sich für diese Informationen?

Antwort: Justiz und Polizei wollen auf diese Daten zwecks Verbrechensbekämpfung zugreifen. Die Staatsanwaltschaft braucht dafür eine richterliche Genehmigung, überdies muss die verdächtigte Tat mit mehr als einem Jahr Gefängnis bedroht sein. Die Polizei kann in akuten Situationen - etwa Gefahr für Leib und Leben - aber auch ohne Sanktus eines Richters Auskünfte von den Telekomfirmen verlangen. Jede Abfrage muss einem Rechtsschutzbeauftragten berichtet werden.

Frage: Was lässt sich aus den Datensätzen herauslesen?

Antwort: Wer mit wem wann wie lange telefoniert hat - und auch wo, zumal sich Handys ja immer in eine lokale Funkzelle einwählen. Das Gleiche gilt für verschickte SMS, MMS und E-Mails. Ebenso lässt sich eruieren, wann und wie lange sich ein bestimmter User ins Internet eingewählt hat.

Frage: Werden Inhalte von Gesprächen und Nachrichten gespeichert?

Antwort: Nein. Die Ermittler können höchstens von Absender und Empfänger auf etwaige Inhalte rückschließen.

Frage: Warum halten Datenschützer die Speicherung dann für bedenklich?

Antwort: Weil unbescholtene Bürger unter "Generalverdacht" geraten könnten, fürchtet Hans Zeger von der Arge Daten und nennt ein (fiktives) Beispiel: Bei einem Fußballspiel kommt es zu Ausschreitungen. Also lässt die Polizei ausheben, wer zu dieser Zeit aller im Stadion telefoniert hat. Unbeteiligte mit dem Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, könnten da rasch in Rechtfertigungsnotstand kommen, nur weil sie einem Freund den Zwischenstand durchgegeben haben, fürchtet Zeger - und der Gegenbeweis, mit Randale nichts zu tun zu haben, sei möglicherweise nicht immer so leicht zu erbringen.

Frage: Wird gespeichert, welche Seiten ein User im Internet besucht hat?

Antwort: Ebenfalls nein. Auch hier gilt das Tabu für Inhalte. Sehr wohl erfasst wird aber die IP- Adresse, unter der sich ein Computer - und damit ein mitunter zuordenbarer Benützer - ins Internet einklinkt. Wieder ein Beispiel von der Arge Daten: Die Polizei sucht den Urheber einer Drohbotschaft, die von einer bestimmten IP-Adresse ausgeschickt wurde. Weil ein und dieselbe öffentliche IP-Adresse aber binnen weniger Minuten mehreren tausend Leuten zugewiesen werde, könnten ebenso viele ins Visier der Ermittler geraten, warnt Zeger.

Frage: Können Internetbenutzer den neugierigen Behörden ein Schnippchen schlagen?

Antwort: Relativ einfach, sagen Fachkundige. Wer anonym surfen will, kann seinen Internetverkehr etwa dank Gratissoftware "Tor" auf schwer nachvollziehbarer Umwege über verschiedene Server schicken - auch für Smartphones gibt es eine entsprechende Version. Die Profiverbrecher und Terroristen, gegen die sich die Überwachungsmethoden richteten, könnten diese in der Regel leicht umgehen, sagt Georg Markus Kainz vom Verein Quintessenz, der sich für Bürgerrechte im Infozeitalter einsetzt: "Das ist wie der Einbrecher, der sich Handschuhe anzieht, um Fingerabdrücke zu vermeiden."

Frage: Wie lassen sich "speicherungssichere" E-Mails verschicken?

Antwort: Indem man einen der Dienste eines kleinen Providers nutzt. Zur Speicherung der E-Mail-Daten sind nämlich nur Anbieter verpflichtet, deren Jahresumsatz 277.000 Euro übersteigt - laut Arge Daten falle gerade die Hälfte der rund 300 Provider unter das Vorratsdaten-Gebot. E-Mails, die vom eigenen Server eines Unternehmens geschickt werden, sind ebenfalls nicht betroffen; allerdings können die Kommunikationsdaten sehr wohl gesichert werden, wenn der Empfänger eine Adresse bei einem Provider hat, der unter die Vorratsdatenspeicherung fällt. Eine Möglichkeit sind auch außereuropäische E-Mail-Dienste. Doch Vorsicht: Für diese gilt zwar nicht die Vorratsdatenspeicherung, möglicherweise aber eine nicht minder strenge, nationale Bestimmung des jeweiligen Landes des Anbieters.

Frage: Gibt es auch Ausweichmöglichkeiten beim Telefonieren und SMS-Verschicken?

Antwort: Für Smartphones gibt es Apps wie WhatsAPP, über die sich Nachrichten verschicken lassen, ohne dass Absender und Adressaten gespeichert werden - dafür müssen aber beide Seiten dieses Programm verwenden. Das gleiche gilt für Internet-Telefonate mit VoIP-Anbietern (zum Beispiel Skype), sofern man kein Angebot von einem der großen heimischen Provider nutzt, die unter die Vorratsdatenspeicherung fallen. Die Daten direkter Handytelefonate werden ausnahmslos gespeichert. Mit vertragslosen Wertkartenhandys lässt sich aber die Zuordenbarkeit zu einem konkreten Benutzer verschleiern.

Frage: Warum hat Österreich die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, Deutschland aber nicht?

Antwort: Im Prinzip gebietet eine EU-Richtlinie, die 2006 im Geiste der Terrorbekämpfung verabschiedet wurde, sämtlichen EU-Staaten, ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. Nachdem es im Juli 2010 bereits eine Verurteilung wegen Säumigkeit gesetzt hatte, kam Österreich der Verpflichtung nun nach. Auch Deutschland hatte die Richtlinie bereits umgesetzt, doch vor zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht die in Paragrafen gegossene Regelung aufgehoben. Die EU-Kommission droht nun mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der EU-Verträge - im Extremfall könnte Deutschland eine Strafe in Millionenhöhe ausfassen. Heimische Gegner der Vorratsdatenspeicherung wollen sich am großen Nachbarland hingegen ein Beispiel nehmen: Die Initiative "AK Vorrat" bereitet eine Verfassungsklage vor, zumal das neue Gesetz das Grundrecht auf Privatsphäre verletze. (Gerald John, DER STANDARD, 3.4.2012)