Der Tonfall im Dauerstreit um den digitalen Umgang mit geistigem Eigentum wird rauer. Erst vor einer Woche hat ein "Wut-Interview" des Element-of-Crime-Sängers und Romanautors Sven Regener im Bayerischen Rundfunk für heftige Reaktionen gesorgt. Zitat: "Es wird so getan, als ob wir Kunst machen als Hobby. Das Rumgetrampel darauf, dass wir uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt: 'Euer Kram ist nichts wert. Wir wollen das umsonst haben.' Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert ... Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass die, die den Inhalt liefern, nichts bekommen, ist scheiße." Im Folgenden Auszüge aus dem "Tatort"-Protestbrief:

Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!

Wir Unterzeichner erkennen an, dass Sie alle sich eines veritablen Problems annehmen wollen, das die zwei großen, am Internet hängenden "Parteien" betrifft: Die schlechte Lage der Urheber, ihre unangemessene Vergütung und die millionenfache illegale Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten auf der einen Seite, 600.000 Abmahnungen von Usern und die Möglichkeit von Netzsperren und (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie gerne Zensur nennen, auf der anderen Seite.

Wenn Sie dieses tatsächliche Dilemma aber ernsthaft lösen (helfen) wollen, ist es an der Zeit, sich von ein paar Lebenslügen zu verabschieden.

Grüne Politiker untermauern das aktuelle Problem üblicherweise durch die Gegenüberstellung zweier Grund- und Menschenrechte: Der Artikel 27 der Menschenrechte postuliere einerseits den Schutz des Urhebers als Eigentümer seiner Schöpfung, seiner Werke, andererseits würde der freie Zugang zu Kunst und Kultur garantiert. Diese dramatische Gegenüberstellung enthält aber gleich zwei Lebenslügen:

1. Die demagogische Suggestion, es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr - eine Behauptung, die durch nichts bewiesen wird. Was auch schwer fallen dürfte: die westliche Welt hat in über 100 Jahren ein definiertes, klares System verschiedener Nutzungsarten und Zugänge herausgebildet.

2. Die demagogische Gleichsetzung von frei und kostenfrei. Die Menschenrechte garantieren in der Tat einen freien, aber doch keinen kostenfreien Zugang zu Kunst und Kultur. Diese politische Verkürzung von Grünen, Piraten, Linken und Netzgemeinde dient lediglich der Aufwertung der User-Interessen, deren Umsonstkultur so in den Rang eines Grundrechtes gehievt werden soll.

Wie überhaupt der ganze Diskurs über das Netz und seine User einen hohen Ton anschlägt und damit die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt.

Fakt ist, dass die Urheberrechte in der Bundesrepublik nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch zahllose, völkerrechtlich verbindliche Verträge auch innerhalb der EU ultimativ verbrieft sind. Dass dieses Grundrecht aktuell zur politischen Disposition stünde, gehört zu den liebevoll gehegten Lebenslügen der Netzgemeinde.

Die vermutlich gravierendste Lebenslüge der selbsternannten Problemlöser zum Schluss: Wenn man Urheber und User besser stellen will, braucht es ja einen, der diesen Alle-haben-alle-wieder-lieb-Kompromiss, der den Kram bezahlt - denn wie in allem, was hergestellt wird, steckt auch im "Content" verdammt viel Arbeit von Urhebern und kostet deshalb auch Geld, das irgendjemand bezahlen muss. Diesen omnipotenten Zahler kennt die Netzgemeinde auch schon ganz genau: Nein, nicht Google, youtube und die anderen Internetserviceprovider, die sich dumm und dämlich daran verdienen, illegale Kontakte zu vermitteln, den kriminellen Modellen wie kino.to, megaupload, the Pirate Bay etc. überhaupt zum Erfolg zu verhelfen. Nein, für die Grünen, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien ist der große Übeltäter die Verwertungsindustrie: Sony, Universal, Bertelsmann und, ganz wichtig, natürlich die GEMA und die anderen Verwertungsgesellschaften. Das sind in ihren Augen die Blutsauger, die sollen die Zeche zahlen.

Mal davon abgesehen, dass die selbsternannten Digital Natives (auch) über diesen Punkt nie direkt mit den betroffenen Urhebern gesprochen haben, sie haben überhaupt nicht verstehen oder begreifen wollen, dass bis auf Maler und Bildende Künstler diese Trennung in Urheber und "böse" Verwerter überhaupt keinen Sinn macht, ja unmöglich ist: Filme, Musikproduktionen, web- und Werbekampagnen, Architektur- und Designprodukte werden überhaupt erst realisiert, wenn die künstlerischen Ideen der Urheber mit Kapital und Vermarktungsknowhow zusammenkommen.

Wenn die Grünen, Piraten, die Netzpolitiker aller Parteien es mit den Urhebern also wirklich ernst meinen, dann sollten sie zunächst mal mit ihren eigenen Kulturpolitikern sprechen: Die können ihnen den Zusammenhang von Kunst/Kultur und materieller Absicherung sicher erläutern

Vor allen Dingen sollten die Netzpolitiker aller Parteien die Finger von den Schutzfristen lassen, und bitte nicht jede Missbrauchskontrolle bei Providern und Usern gleich als den definitiven Untergang des Abendlandes anprangern: Bei der Suche nach Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern zum Beispiel, müssen sich die Bürger auch einige Einschränkungen ihrer Rechte gefallen lassen. (DER STANDARD, 1.4.2012)