"Was uns eint, ist: Alle haben etwas mit dem Internet zu tun oder einen starken Freiheitsdrang."

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STANDARD: Die Piratenversammlung läuft chaotisch ab, Anträge werden gestellt und wieder zurückgezogen. Einer der Nachteile, wenn alle mitreden dürfen?

Fabio Reinhardt: Es gibt ein Konfliktverhältnis zwischen Effizienz und Legitimation. Viele Dinge, die in einer Demokratie gemacht werden, sind effizient und nicht legitimiert, wie Entwürfe von Staatssekretären. Wenn sich 50 Leute in einen Kreis setzen und so lange diskutieren, bis alle glücklich sind ist das legitimiert, aber ineffizient. Wir haben es geschafft, in jeder Phase effizienter zu werden und dabei an Legitimation von Entscheidungen nicht zu verlieren.

STANDARD: Dennoch bleibt es eine Frage der Größe.

Reinhardt: Klar. Wir hatten schon den Fall, dass sich 70 Leute ans Mikrofon gestellt haben, um einem Spitzenkandidaten Fragen zu stellen. Was macht man, wenn sich 800 Leute hinstellen? Das geht technisch nicht. Da muss man Einschränkungen machen. Dass es hier so chaotisch ist, liegt auch daran, dass nicht ausreichend vorbereitet wurde. Das kann künftig verhindert werden.

STANDARD: Worin liegt der Unterschied zu den deutschen Piraten?

Reinhardt: Es gibt nicht den einen Unterschied. Die Partei erinnert mich an die deutsche Partei vor ein paar Jahren: Bevor sie Entwicklungsschübe gemacht hat.

STANDARD: Es scheint ein Sammelbecken für verschiedene Leute zu sein. Ähnlich wie in Deutschland?

Reinhardt: Sammelbecken klingt komisch. Aber es ist eine Partei bei der Mitglieder mit vielen verschiedenen Einzelinteressen zusammenkommen. Was uns eint, ist: Alle haben etwas mit dem Internet zu tun oder einen starken Freiheitsdrang. Dass man sich wohlfühlt, weil es keine Hierarchien gibt und es nicht lange braucht, um seine Meinung umzusetzen.

STANDARD:Ein Privileg von kleinen Parteien, das etablierte verlieren?

Reinhardt: Das ist natürlich eine Gefahr: Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hatten wir 2009 nur zehn Mitglieder, jetzt sind es fast 500, darunter Mandatsträger auf Bezirks- und Landesebene. Da sind mehr Dinge zu bedenken, die Prozesse verlaufen anders. Aber wir haben uns eine offene Struktur bewahrt und eine Kommunikation zwischen den Mandatsträgern und den einfachen Mitgliedern aufgebaut.

STANDARD: Mitbestimmung als Schlüssel zu erfolgreicher Politik?

Reinhardt: Die Politik krankt nicht an zu wenigen Wahlen, sondern dass dazwischen zu wenige interaktive Prozesse stattfinden. Wir suchen Prozesse zwischen repräsentativer und direkter Demokratie: liquid Democracy.

STANDARD: Dennoch sind Piraten-Wähler vor allem Protestwähler.

Reinhardt: Wir verstehen uns auch als Metapartei. Heißt: Wir wollen die Politik grundsätzlich anders gestalten. Unsere Attraktivität ist nicht unser Parteiprogramm. Die Welt ändert sich sehr schnell: Jetzt ein Programm zu schreiben, das aus 5000 Details besteht und vier Jahre Gültigkeit hat, ist schwer.

STANDARD: Die Zukunft der Politik ein wechselbares Wahlprogramm?

Reinhardt: Aus dem Programm sollte das Menschen- und Gesellschaftsbild der Partei klar werden. Aus unserem geht hervor, dass wir uns auf allen Ebenen für mehr Teilhabe einsetzen.

STANDARD: Der Vorwurf bleibt, die Piraten haben zu wenig Programm. Ich denke etwa an die Talkshow-Auftritte der vergangenen Tage mit Fragen zu Afghanistan und Schlecker, wo es keine Antworten gab.

Reinhardt: Da gibt es verschiedene Problematiken. Wenn ich einen Politiker einer etablierten Partei in eine Talkshow setze und zu ihm sage, wir haben ein Problem, er soll das bitte schnell lösen, wird der auch sagen: 'Das kann ich nicht aus dem Stegreif.' Nur bei den Piraten heißt es daraufhin, sie haben kein Programm. Dabei haben wir ein unglaublich breites Programm, mit der Möglichkeit dieses durch Mitbestimmung schnell zu erweitern. Was Schlecker angeht: Wir fordern bedingungsloses Grundeinkommen. Eine Transfergesellschaft, die nicht versucht eine Firma zu retten sondern einen Übergang schafft, für Menschen, die einen Job verloren haben..

STANDARD: Wie soll das bezahlt werden?

Reinhardt: Da müssen wir noch ein Finanzierungsmodell dafür vorschlagen. Das haben wir noch nicht konkret im Programm stehen.

STANDARD: Für Aufregung sorgt der Versuch, das Urheberrecht auszuhebeln.

Reinhardt: Wir wollen es nicht aushebeln und wir wollen den Kreativen nicht an ihre Fleischtöpfe. Das Problem ist, diese Aushandlungsmechanismen in der Gesellschaft dürfen nicht zu Lasten der Grundrechte gehen. Momentan sagen die Verwerter durch Kopien im Internet haben wir Umsatzeinbußen. Die Frage ist: Ist dieses Modell zukunftstauglich? Warum habt ihr nicht euer eigenes Streamingportal? Das muss sich eine Gesellschaft fragen dürfen.

STANDARD: Wie stehen die Chancen der Piraten in Österreich?

Reinhardt: Die Hürden für die Wahlteilnahme sind in Österreich leider sehr hoch. Unterstützerunterschriften müssen durch einen Notar beglaubigt werden. Es ist sehr schade, dass die Mechanismen neuen Parteien gegenüber hier so feindlich sind. Aber wenn die Wahlteilnahme gelingt, wovon ich ausgehe, sind die Chancen bei der Wahl auch gut. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, 2.4.2012)