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Das 2007 eröffnete Scientology-Büro in Berlin. Die Bewegung startete in den vergangenen Wochen im deutschsprachigen Raum eine Kampagne, um Jugendliche anzusprechen. Neben den Fällen in Klagenfurt gibt es entsprechende Berichte auch aus Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

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Sektenexperte Roman Schweidlenka: Bei Scientology sollen Kinder "keine Emotionen zeigen, auch keinen Schmerz, wenn sie sich verletzen. Sie sollen nicht getröstet oder gestreichelt werden."

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Scientology beschickt über die Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" Schulen mit Lern-DVDs - über die "Bürgerkommission für Menschenrechte" wendet sich die Vereinigung auch an Medien.

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Die "neue religiöse Bewegung" Scientology spricht in einer aktuellen Offensive verstärkt Jugendliche an, lautet das Resümee eines Kurzberichts der Grazer Jugendservicestelle Logo Eso.Info. Unter dem Titel "Der Weg zum Glücklichsein" wurden in den vergangenen Wochen an Schulen und Jugendverantwortliche in Klagenfurt Lernmaterialen und DVDs mit der Bitte verschickt, sie im Unterricht einzusetzen. derStandard.at sprach mit dem Leiter von Logo Eso.Info, Roman Schweidlenka, über Bindungsstrategien, Tarnorganisationen und den Status von Kindern in scientologischen Familien.

derStandard.at: Dass sich Scientology auch an Minderjährige richtet, ist kein ganz neues Phänomen. Hat die aktuelle Offensive einen besonderen Hintergrund?

Schweidlenka: Scientology hat heute offensichtlich nicht mehr diesen Zuwachs, den man sich wünscht. Die Organisation steht ständig unter dem Druck zu wachsen, und der Leistungszwang wird nicht erfüllt. Wir erleben derzeit eine neue Welle in diesem Kreuzzug gegen Europa, der seit mehreren Jahren verfolgt wird, und es hat den Anschein, dass man mit allen möglichen Mitteln mehr Mitglieder zu gewinnen versucht. Weil die Zuwächse im deutschsprachigen Raum gering bis nicht vorhanden sind, zeugt die Offensive für mich von einer gewissen Nervosität und Unruhe.

derStandard.at: Scientology steht im Ruf, vorrangig um zahlungskräftige Mitglieder zu werben. Weil Jugendliche nicht viel Geld mitbringen, kann man also von einer langfristigen Bindungsstrategie ausgehen, die sich vielleicht erst in Jahren rentiert.

Schweidlenka: Die Beeinflussung, die in der Jugend stattfindet, ist natürlich sehr markant, und darauf setzt die Bewegung. Wenn man sich in der Jugend für etwas begeistert und mit 16, 17 oder 18 Jahren ein Weltbild annimmt, dann behält man das in vielen Fällen ein Leben lang. Von dieser Spanne profitiert Scientology.

derStandard.at: Wissen Sie neben den DVDs auch von Fällen, wo Scientology-Aktivisten den persönlichen Kontakt zu Jugendlichen suchen? Treten sie vor Schulgebäuden, in Jugendvereinen, bei Veranstaltungen auf?

Schweidlenka: Solche Fälle sind mir zwar aus Deutschland, nicht aber aus Österreich bekannt. Es ist allerdings zu beobachten, dass in Wien versucht wird, junge Studenten direkt anzuagitieren.

derStandard.at: In Deutschland wurden auch Schulen und Kindergärten geschlossen, weil die Betreiber ein Naheverhältnis zu Scientology hatten. Vermuten Sie ähnliche Verstrickungen in Österreich?

Schweidlenka: Bei uns ist davon nicht auszugehen. Auch in Amerika gibt es immer wieder derartige Vorkommnisse, in Österreich ist Scientology aber nicht stark genug, um einen solchen Einfluss zu haben.

derStandard.at: Kürzlich fragte ein Sechsjähriger in Wien seinen Vater nach Scientology, nachdem er auf der iPad-App "Nursery TV" mit einer Werbung konfrontiert worden war - Scientology scheint sich für die Zukunft zu rüsten und die neue Technik zu nutzen, mit der die Kinder aufwachsen.

Schweidlenka: Die Werbeleiste im iPad-Programm, wo gezielt Kinder angesprochen werden, ist natürlich extrem. Sie zeigt aber, dass es bei Scientology Experten gibt, die eine hohe technologische Vernunft besitzen. Teil dieser Strategie ist sicher auch der Ausbau der Internetpräsenzen in jüngster Zeit.

derStandard.at: Im kritischen Blog "Kindsein in Scientology" heißt es: "Im scientologischen Sinne sind Kinder kleine Erwachsene." Was heißt das für den Lebensalltag von Kindern in scientologischen Familien?

Schweidlenka: Kinder sollen keine Emotionen zeigen, auch keinen Schmerz, wenn sie sich verletzen. Sie sollen nicht getröstet oder gestreichelt werden. Der Status von Kindern entspricht etwa dem unseren im Mittelalter. Auch damals hat es keine Kindheit gegeben, Kinder waren kleine Erwachsene, denen es aber - außer in den ärmsten Schichten - häufig besser gegangen ist als Kindern von Scientologen heute. Wegen ihrer Tätigkeit für die Organisation haben Eltern oft kaum Zeit für ihren Nachwuchs, und laut kritischen Informationen werden schon die Kleinsten mit einschlägigen Therapietechniken behandelt, um sie in dieses System, dieses Weltbild hineinwachsen zu lassen.

derStandard.at: Sie nennen in Ihrem Bericht eine Reihe von Scientology-Tarnorganisationen wie den Drogenhilfeverein "Narconon" und "Jugend für Menschenrechte". Haben diese Vereinigungen irgendeinen seriösen Aspekt oder dienen sie ausschließlich der Mitgliederrekrutierung?

Schweidlenka: Gerade "Narconon" wurde schon in der Vergangenheit von etlichen offiziellen Gesundheitsstellen in Wien und auch vom steirischen Suchtbeauftragten massiv kritisiert. Die Drogenpräventions- oder -entzugsprogramme entsprechen in keiner Weise den heute anerkannten seriösen Qualitätskriterien in diesem Bereich.

derStandard.at: Nach einem Interview mit der Erziehungswissenschaftlerin Michaela Ralser habe ich unaufgefordert eine DVD und ein Hochglanzheft von der Tarnorganisation "Bürgerkommission für Menschenrechte" ("Citizens Commission on Human Rights") in die Redaktion geschickt bekommen. Der Name und das Logo wirken seriös. Hat diese Art der Tarnung bei der Zielgruppe nennenswerten Erfolg?

Schweidlenka: Ich glaube schon, dass immer wieder Menschen darauf hereinfallen - dafür ist sie ja konzipiert. Oft wird in Broschüren oder bei Veranstaltungen nur der Begründer L. Ron Hubbard genannt, und nicht jeder stellt diesen Zusammenhang mit Scientology her. Zum Glück ist das Kommunikationsnetz bei uns aber so groß, dass viele schnell mitbekommen, wer dahintersteckt.

derStandard.at: Nach dem Auftauchen der DVD-Pakete hat Klagenfurts Schulreferentin Maria-Luise Mathiaschitz (SPÖ) vor den Konzepten gewarnt, die "das Ziel verfolgen, Menschen zu manipulieren und abhängig zu machen. Dieses Gedankengut hat in Schulen nichts verloren." Sind Sie mit dem Einsatz der Politik gegen die Scientology-Strategien generell zufrieden?

Schweidlenka: Die Vertreter der beiden Koalitionsparteien haben sich immer wieder gegen Scientology ausgesprochen, die ÖVP hat sogar den Passus eingeführt, dass Scientologen nicht Parteimitglied werden dürfen. Auch die Grünen haben ein kritisches Bewusstsein. Warum im Gegensatz zu Deutschland der heimische Verfassungsschutz Scientology nicht beobachtet, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.

derStandard.at: Zeigt die "Church of Scientology" in Österreich ernsthafte Bestrebungen, als Religion anerkannt zu werden?

Schweidlenka: Von einem offiziellen Ansuchen, als Bekenntnisgemeinschaft anerkannt zu werden, ist mir zumindest nichts bekannt. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 2.4.2012)