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Nur ein schmerzhafter Prozess wird die Gesundung einer überschuldeten Wirtschaft nach sich ziehen.

Foto: Reuters/Nacarino

Für zahlreiche Ökonomen und Millionen von Bürgern sind die neuen spanischen Sparmaßnahmen eine Wahnsinnstat: Das Land ist bereits in einer tiefen Rezession, und nach allen Prognosen werden die neuen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen die Krise noch verschärfen. Das führt zu noch größeren Haushaltsdefiziten und erhöht den Schuldenberg nur noch weiter.

Wie kann man nur so irregeleitet sein wie die EU-Kommission und die europäischen Regierungen, die eine solche Politik verfolgen, und solche, die sie von ihren Partnern fordern – allen voran die deutsche. Auch wirtschaftsliberale Kommentatoren wie Wolfgang Münchau von der Financial Times rufen nach einer Neuverhandlung des Fiskalpaktes, um die Staaten endlich von der Last des Sparens zu befreien.

Doch die Kritiker der Sparpolitik – und von denen gibt es täglich mehr - übersehen einen entscheidenden Punkt: Das Hauptproblem der meisten Schuldenstaaten (mit der Ausnahme von Irland) sind nicht ihre Staatsschulden, sondern ihre Leistungsbilanzdefizite. Die betragen im Fall von Griechenland und Portugal zehn Prozent des BIP, bei Spanien und Italien rund vier Prozent. Auch Frankreich hat ein kleineres, dafür aber permanentes Problem mit seiner Leistungsbilanz.

Ein Budgetdefizit bedeutet, dass der Staat mehr ausgibt als er einnimmt. Bei einem Leistungsbilanzdefizit aber konsumiert die ganze Wirtschaft mehr als sie produziert und daher mehr importiert als exportiert.

Dies ist nur möglich, wenn im Gegenzug ausländisches Kapital ins Land fließt und das Defizit abdeckt. Das kann sehr lange gutgehen, bedeutet aber auch, dass sich Länder mit anhaltend hohen Leistungsbilanzdefiziten gegenüber dem Ausland verschulden.

Wenn einmal dieser Kapitalfluss versiegt, dann wird das Leistungsbilanzdefizit nicht mehr finanzierbar. Dann muss etwas geschehen.

Der einfachste Weg ist eine Abwertung der Währung. Doch dieser Pfad ist den Eurostaaten verwehrt, auch wenn zumindest im Fall von Griechenland vieles dafür sprechen würde, aus dem Korsett der Gemeinschaftswährung auszubrechen. Auch Griechenland ist entschlossen, im Euro zu bleiben.

Eine weitere Möglichkeit wären noch Zollschranken, um die Importflut zu bremsen. Doch dies ist in der EU streng tabu, und außerdem würde ein solcher Schritt das langfristige Wettbewerbsproblem der Staaten, nämlich die Schwäche ihrer Exportwirtschaft, nicht lösen.

Dann aber bleibt nur noch ein Ausweg übrig: Die Bürger dieser Staaten müssen dazu gezwungen werden, weniger zu importieren. Und da eine Verschiebung des Konsums nicht befohlen werden kann, müssen sie insgesamt weniger konsumieren. Das geht aber nur durch einen Rückgang der allgemeinen Wirtschaftsleistung, also eine Rezession.

Die Rezessionen in Südeuropa sind daher nicht nur Betriebsunfälle der Euro-Sanierung, sondern ihr zentrales Element.

Das zweite Mittel, um Leistungsbilanzdefizite zu verringern und sogar umzudrehen, ist eine Senkung der Lohnstückkosten, um auf diese Weise die Exporte anzukurbeln. In sozialpartnerschaftlich organisierten Staaten lässt sich das durch nationale Abkommen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erreichen, wie es etwa Deutschland im vorigen Jahrzehnt vorexerzierte. Aber in den Südländern der Eurozone fehlt der gesellschaftliche Zusammenhalt, der ein solches Vorgehen möglich macht.

Löhne werden daher nur dann fallen, wenn die Arbeitslosigkeit hoch genug ist, sodass die Gewerkschaften dem Lohndruck der Unternehmen nur noch entgegensetzen können. So schmerzhaft das für den Einzelnen auch ist, die daraus resultierende wachsende Wettbewerbsfähigkeit kurbelt die Exporte an, verringert das Leistungsbilanzdefizit und bietet der Wirtschaft einen Ausweg aus der Krise.
Arbeitslosigkeit ist eine direkte Folge von Rezession. Die Krankheit wird zur Therapie.

Fallende Löhne bringen fallende Preise mit sich und eine deflationäre Spirale. Die verschärft bekanntlich die Lage für alle Schuldner, weil ihre Schulden nominal wachsen. Das gilt auch für den Staat. Allerdings stellt dieser, anders als Unternehmen, nicht seine Tätigkeiten ein, wenn er bankrott geht. Er wird boß gezwungen, noch mehr zu sparen.

Das gilt derzeit für Griechenland, Portugal und Spanien. Je mehr sie sparen, desto mehr verschärft sich die Budgetsituation, die zum weiteren Sparen zwingt. Doch dies hat auch seine positiven Seiten. Die dadurch erzwungenen noch tieferen Einschnitte, wie etwa jetzt in Spanien sollten nicht nur kurzfristig, sondern auch strukturell zu einer Eindämmung von Staatsausgaben führen. Und das hilt zu einer nachhaltigen Budgetsanierung.

Deshalb haben die Finanzmärkte zunächst auch nicht besorgt auf die Verschlechterung von Budgetzahlen in Spanien reagiert. Erst als Premier Mariano Rajoy als Konsequenz seine Defizitziele aufgeweicht hat, sind die Aufschläge auf Staatsanleihen gestiegen. Anleger wissen, dass Sparprogramme nicht sofort die Lösung bringen. Sie erwarten sie dennoch von den Schuldnerstaaten.   

Das Bild, das hier von der Gesundung einer überschuldeten Wirtschaft gezeichnet wird, ist düster und erinnert an die wirtschaftlichen Realitäten des 19. Jahrhunderts. Unter dem Goldstandard hatten Länder mit Leistungsbilanzdefiziten gar keine andere Wahl als sich gesund zu schrumpfen – durch oft jahrelange Rezession, Deflation und hohe Arbeitslosigkeit.

Dieser Vergleich ist kein Zufall. Die Eurozone funktioniert wie der historische Goldstandard und zwingt die Teilnehmer zur dessen schmerzhafter Rosskur, wenn sie Ungleichgewichte erleiden. Es gibt daher gute Gründe, warum der Goldstandard im 20. Jahrhundert aufgegeben werde. Dass sie sich dem gleichen Diktat wieder unterwerfen, haben die Staaten bei Einführung des Euro offenbar nicht bedacht.

Jetzt müssen sie den Preis dafür bezahlen –und der heißt vorerst einmal Rezession.